Auf der Suche nach dem neuen Neunten

Forscher vermuten einen Planeten jenseits des Neptun. Von Dieter B. Herrmann

  • Dieter B. Herrmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Seit in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts der Pluto entdeckt worden war, kannten wir neun Planeten unseres Sonnensystems. Und stets aufs Neue wurde vermutet, dass es noch einen weiteren Wandelstern geben könnte, der jenseits des weit entfernten Pluto seine Bahn zieht. Doch dieser zehnte Planet wurde nie gefunden. Stattdessen büßte der neunte seinen Status ein. Im Jahr 2006 nämlich entschloss sich die Internationale Astronomischen Union, Pluto den Rang eines der großen Planeten unseres Sonnensystems abzuerkennen. Er wurde in das Reich der neu definierten Zwergplaneten verbannt, einer Objektgruppe, deren Hauptvertreter sich im Bereich des Kuiper-Gürtels bewegen.

Doch nun ist seit einiger Zeit wieder von einem Planeten jenseits des Neptun die Rede, dessen Existenz gerade wegen einiger Besonderheiten der Bahnen von Objekten des Kuiper-Gürtels vermutet wird. Schon der Planet Neptun verdankte seine Entdeckung einer ähnlichen Schlussweise. Damals hatten Urbain Leverrier in Paris und John Adams in England aus den Abweichungen der Bewegungen des Planeten Uranus auf das Vorhandensein eines weiteren Planeten geschlossen, der als Verursacher dieser Bahnstörungen in Frage käme. Sie konnten unter plausiblen Annahmen sogar den Ort des vermuteten Objekts angeben, was dann schließlich 1846 zu seiner Entdeckung an der Berliner Sternwarte führte.

Diesmal sind es eben nicht die Reststörungen irgendeines schon bekannten Planeten, sondern die Merkwürdigkeiten der Bahnen kleinerer Himmelskörper in der Region des Kuiper-Gürtels. Es handelt sich um sechs Objekte mit großen Bahnhalbachsen oberhalb von 250 Astronomischen Einheiten, d.h. dem 250-Fachen der Entfernung Erde-Sonne. Bei der Untersuchung dieser Körper zeigte sich nun, dass die Verbindungslinien zwischen den sonnenfernsten und sonnenächsten Punkten ihrer Bahn (die sogenannten Apsiden) in ähnliche Richtungen zeigen. Eine weitere Auffälligkeit bei den Bahnen der erwähnten Objekte besteht darin, dass ihre Neigungen gegen die Hauptebene des Sonnensystems sämtlich zwischen +11 Grad und +30 Grad liegen. Aus Sicht der Himmelsmechanik ist das höchst verwunderlich. Normalerweise sollten die großen Planeten Jupiter und Saturn mit ihren beträchtlichen Massen (rd. 318 bzw. 95 Erdmassen) eine viel breitere Streuung sowohl der Apsidenrichtungen wie auch der Bahnneigungen bewirken.

Am besten lässt sich der Befund dieser Verteilung daher mit einem weiteren Planeten des Sonnensystems erklären, der jenseits des Neptun umläuft. Dafür gibt es aber vielerlei Möglichkeiten. So erklären sich auch die weit auseinanderdriftenden Prognosen verschiedener Arbeitsgruppen über die Masse und die Bahn des »Planeten Neun«.

Besonderes Aufsehen erregte eine neue mathematische Analyse vom Januar 2016 nebst Computersimulationen, die Konstantin Batygin und Michael E. Brown, beide am California Institut of Technology (Caltech), vorgelegt hatten. Sie kommen zu dem Schluss, dass der hypothetische Planet etwa die zehnfache Erdmasse haben könnte und bis zu viermal so groß wie unser Heimatplanet sei. Die mittlere Entfernung des auf einer vermutlich stark elliptischen Bahn umlaufenden Himmelskörpers könne bei etwa der 20-fachen Neptun-Entfernung liegen. Dann würde der Planet für einen Umlauf um die Sonne circa 20 000 Jahre benötigen. Die Wahrscheinlichkeit für die Existenz eines solchen Himmelskörpers geben die Autoren mit 90 Prozent an.

Jetzt haben die Forscher vom Caltech noch einmal nachgelegt: Gemeinsam mit Elizabeth Bailey veröffentlichten sie kürzlich eine Studie im »Astrophysical Journal«, in der sie die Neigung der Hauptebene des Sonnensystems gegen den Sonnenäquator auf den hypothetischen Planeten Neun zurückführen. Die Planeten bewegen sich nämlich bis auf geringfügige Abweichungen sämtlich in der Ebene der Ekliptik um die Sonne. Doch diese ist gegen den Sonnenäquator um rund sechs Grad geneigt. Bei der Entstehung des Sonnensystems aus einer präplanetaren Scheibe sollte sich aber nur eine einzige Ebene der Rotationen für Sonne und Planeten herausgebildet haben. Hingegen könne man das Kippen der Sonne - so die Forscher - gut verstehen, wenn ein massereicher Planet draußen im Sonnensystem vorhanden sei, dessen Bahn selbst um rund 30 Grad gegen die Ekliptik geneigt ist. Die Daten dieses Planeten (Entfernung, Masse) stimmen einigermaßen mit den früheren Daten überein.

Doch wie ist dieser abnorme Himmelskörper dorthin gelangt? Auch darauf gibt es eine Antwort: Er könnte aus einem anderen Sonnensystem durch gravitative Einflüsse entkommen und dann von unserem Sonnensystem eingefangen worden sein. Das alles sind natürlich nur vage Annahmen. Einen Wermutstropfen für die Anhänger von »Planet Neun« steuerte nun eine Analyse der Bahndaten der Saturnsonde »Cassini« bei. Diese seit 2004 aktive Sonde wird nämlich auch benutzt, um die Bahn des Ringplaneten mit höchster Präsizion zu bestimmen. William Folkner vom Jet Propulsion Laboratory in Pasadena teilte unlängst mit, dass sich keinerlei Abweichungen der Saturnbewegung gezeigt hätten, die auf Störungen durch einen massereichen neunten Planeten hindeuten würden.

Die Forscher vom Caltech bitten nun darum, »Cassini« noch bis 2020 fliegen zu lassen, um dem Problem weiter nachzugehen. Doch daraus wird wahrscheinlich nichts. Die Treibstoffvorräte der Raumsonde reichen nämlich nur noch bis zum Jahr 2017. Dann soll »Cassini« gezielt in den Saturn gelenkt werden, um einen unkontrollierten Absturz auf einen der Saturnmonde zu verhindern, wobei irdische Mikroben auf den Mond gelangen könnten. Die überzeugendste Lösung des Rätsels um den neunten Planeten wäre freilich seine Entdeckung. Doch davon ist bislang keine Rede.

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