Wandern bis zur Müllkippe

Braunbären reagieren unterschiedlich auf menschengemachte Nahrungsangebote. Von Kai Althoetmar

  • Kai Althoetmar
  • Lesedauer: 3 Min.

Unter der Landbevölkerung Ost- und Südosteuropas genießen Braunbären nicht den besten Ruf. Zu verlockend sind Honig, Obst, Lämmer und Federvieh, aber auch Lebensmittelreste auf Müllkippen, als dass Meister Petz dazu Nein sagen könnte. Wo Bären - wie in Teilen der Alpen - wieder einwandern, eilt ihnen kein guter Ruf voraus. Dieses pauschale Image hält jedoch der Realität nicht stand. Braunbären reagieren sehr unterschiedlich auf menschengemachte Nahrungsangebote. Das fanden Wissenschaftler der Universität Zürich, der türkischen Wildtierorganisation Kuzey Doga, der Universität Zagreb und der Universität von Utah in Salt Lake City (USA) bei Feldstudien im Osten der Türkei heraus. Ihre Ergebnisse stellten sie in der Fachzeitschrift »Journal of Zoology« (Bd. 300, S. 142) vor.

Das Forscherteam um den Wildtierbiologen Gabriele Cozzi von der Universität Zürich hatte im »Sarikamiş-Allahuekber Mountains National Park« und dessen Umgebung im Nordosten der Türkei das Wanderverhalten einer Braunbärenpopulation untersucht, in deren Streifgebiet nahe der Stadt Sarikamiş eine offene Mülldeponie liegt. Die Wissenschaftler stellten fest, dass knapp zwei Drittel der untersuchten Bären im Umfeld der Müllkippe förmlich sesshaft wurden, während andere Artgenossen an ihren ausgedehnten Streifzügen bis zum Schwarzen Meer festhielten und das künstliche Nahrungsangebot der Deponie mieden. Eine solche Zweiteilung des Verhaltens einer Braunbärenpopulation wurde laut der Studie zuvor noch nie beobachtet.

Für ihre Feldstudie hatten die Forscher zunächst 16 Bären eingefangen und mit Satelliten-Halsbändern besendert. Deren GPS-Daten wurden anschließend über einen Zeitraum von bis zu 590 Tagen erfasst und daraus Bewegungsprofile erstellt.

Die »Müllbären« suchten vor allem nachts nach Fressbarem und bevölkerten die Deponie im Spätsommer am intensivsten. Cozzis Team fiel auch auf, dass die »Wanderbären« auf ihren im Durchschnitt 166 Kilometer langen und maximal 72 Tagen währenden Streifzügen konsequent Waldkorridore nutzten. Die Allesfresser konzentrierten sich dabei auf Eichenwälder, die es ihnen im Herbst erlauben, sich für die bevorstehende Winterruhe mit Eicheln ein Fettpolster anzufressen. Graslandschaft und die Nähe von Siedlungen mieden die Tiere auf ihren Wanderungen.

Die Forscher sehen darin ein Indiz, wie wichtig natürliche Korridore auch für Bären sind, um lokale Populationen miteinander zu verknüpfen und genetischen Austausch zu fördern. »Die Bären müssen wandern, um entweder außerhalb des Kerngebiets der Studie Futter zu finden oder um ihren Speiseplan mit menschengemachten Nahrungsangeboten zu ergänzen«, schreiben die Forscher. Jeder menschliche Eingriff in diese Optionen könne lokale Bärenbestände gefährden. Die Braunbärenvorkommen der Türkei konzentrieren sich auf das Pontische Gebirge nahe der Schwarzmeerküste. Verlässliche Bestandszahlen gibt es nicht.

Dass Mülldeponien das Migrationsverhalten von Tieren ändern können, war bislang von Weißstörchen bekannt. So nimmt im Elsass ein Teil der dortigen Storchenpopulationen am Vogelzug nach Afrika nicht mehr teil und verbringt den Winter in Frankreich - ernährt von dem, was Müllkippen und Bauernhöfe hergeben. Andere Störche beschränken ihren Vogelzug auf Reisen nach Nordafrika, wo der Mülltisch in Gestalt offener Deponien noch reichlicher als in Europa gedeckt ist. Das Weiterziehen bis nach Südafrika sparen sich die Schreitvögel dann.

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