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Elefantengedächtnis
Horst Kopp über seine Tätigkeit als Desinformant der HVA
Der 83-jährige Horst Kopp ist der dritte Offizier der Desinformationsabteilung des Auslandsnachrichtendienstes des MfS, der überraschend ein Erinnerungsbuch präsentiert - nach Herbert Brehmer (1992) und Günter Bohnsack (1997). Der Dritte verfügt über ein Gedächtnis, das - wie er selbst sagt - »dem eines Elefanten gleicht«. Ein Glücksfall.
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* Horst Kopp: Der Desinformant. Erinnerungen eines DDR-Geheimdienstlers. Das Neue Berlin. 256 S., br., 16,99 €.
Kopp arbeitete im Referat 3 der HVA X, das sich intensiv mit dem Publizisten Günther Wallraff und dem CSU-Bundestagsabgeordneten Leo Wagner befasst hat. Der Leser erfährt tatsächlich Neues - folgt man Kopp, wird die Geschichte umgeschrieben werden müssen.
Bislang gingen Wissenschaftler gemäß der Aktenlage davon aus, dass Heinz Dornberger, Kopps Referatskollege, Wallraff in der internen Kartei erfassen ließ. »Als im April 1968 eine operativ günstige Situation vorhanden war«, vermerkte Dornberger, »wurde W. direkt angesprochen und zu einer Zusammenarbeit mit dem Nachrichtendienst geworben«. Das sei Unsinn, bemerkt Kopp, es habe »die erfolgreiche Werbung« nicht gegeben. Und nicht nur das: Bis dato schenkten Wissenschaftler dem minuziösen Observationsprotokoll des dänischen Nachrichtendienstes Glauben, das ein eintägiges Treffen Wallraffs mit einem Instrukteur »Friedhelm«, einem Kulturredakteur aus der DDR, in Kopenhagen im Dezember 1971 dokumentiert. In den Folgetagen verblieb der Journalist in Kopenhagen, wechselte das Hotel und verbrachte mit einer schwedischen Kollegin die Zeit. Während seiner Rückreise sei er in Hamburg verhaftet und vom Bundeskriminalamt vernommen worden, während sich Wallraff in Hessen einen Rechtsanwalt nahm, der dem MfS die »Offenbarung« des Kontakts wissen ließ. Alles Makulatur! Nach Kopp verhielt es sich in Wirklichkeit so: Wallraff reiste zum Jahreswechsel nach Schweden und machte in Kopenhagen Station, wo die Begegnung tatsächlich stattfand. Was die Gesprächspartner aber nicht wussten: unter den Augen und Mikrofonen des Verfassungsschutzes. Beide wurden mit Hilfe der dänischen Polizei verhaftet und vernommen. Der harmlose Kulturredakteur aus der DDR wurde abgeschoben und Wallraff auf freien Fuß gesetzt.
Ähnlich spektakulär die Vorgänge um den Unionspolitiker Wagner. Wissenschaftler meinten bislang, dass sich Kopp diesen Mann am 1. Dezember 1975 als »Löwe« hat verzeichnen lassen. In den Folgejahren, bis 1983, scheinen 38 mündlich gelieferte Informationen an die HVA mit Wagner verbunden zu sein. Auch das ist nunmehr Makulatur. Nach Kopps Erinnerung verhielt es sich wie folgt: Am 24. April 1972 glaubte die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, mit Hilfe eines Misstrauensvotum den amtierenden Bundeskanzler Willy Brandt abwählen zu können. Davon erfuhr Kopp aus den Nachrichten. Am 25. April erhielt er von der Abteilungsleitung den Auftrag, die Stimme Wagners für 50 000 DM zu kaufen. Kopp »bestellte« zu diesem Zweck »über die üblichen Nachrichtenkanäle« einen Journalisten namens Georg Fleißmann (»Dürer«) nach Budapest zu einem Treff. Der sollte Wagner bestechen - und war auch einverstanden. Noch während des Rückfluges nach Berlin-Schönefeld formulierte Kopp den Vorschlag für die Leitung der Hauptverwaltung A. Demnach sollte, sofern dieser Betrag bestätigt würde, ein Kurier - wohl spätestens am 26. April - mit dem Bestechungsgeld und 10 000 DM Provision nach Nürnberg reisen und »Dürer« aushändigen. Der Vorschlag muss kurzfristig genehmigt worden sein. Bis zum 27. April 1972, dem Tag, an dem über das Misstrauensvotum abgestimmt werden sollte, soll »Dürer« das Geld (außer die Provision) auf ein von Wagner benanntes Konto eingezahlt haben. Markus Wolf schwieg sich über Details der Schmiergeldaktion aus.
Mithin also beißen sich Aktenlage und die Erzählungen von Horst Kopp. Letztlich bleibt offen, ob der Desinformant wirklich ein Elefantengedächtnis hat oder weiter als Desinformant wirkt. Den gut lesbaren, spannenden Erinnerungen tut das keinen Abbruch.
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