Erdogan zeigt Brüssel die Instrumente
Türkischer Präsident fordert Konzilianz der EU - sonst platzt der Flüchtlingsdeal
Brüssel. Die EU erwartet, dass sich die türkische Regierung an die Verpflichtungen aus dem gemeinsamen Flüchtlingsabkommen hält. Die EU sei weiter bereit, ihren Teil des Abkommens zu erfüllen und gehe davon aus, dass auch Ankara dies tue, sagte ein Sprecher der EU-Kommission am Freitag. Er antwortete damit auf Fragen zur Drohung des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, die Grenzen für Flüchtlinge Richtung Europa zu öffnen.
Erdogan hatte auf die Forderung des Europaparlaments reagiert, die Beitrittsverhandlungen mit Ankara wegen des massiven Vorgehens gegen Regierungsgegner in der Türkei vorläufig einzufrieren. Die Abgeordneten hatten am Donnerstag eine entsprechende Entschließung verabschiedet, die allerdings nicht bindend ist.
»Wir halten an dem EU-Türkei-Abkommen zu Flüchtlingen fest«, sagte der Sprecher in Brüssel. »Wir tun alles, damit es ein Erfolg wird.« Das Abkommen sei »ein Vertrag auf gegenseitigem Vertrauen«, was auch bedeute, dass beide Seiten bei den eingegangenen Verpflichtungen »liefern« müssten. Das Votum des Europaparlaments vom Donnerstag nehme die Kommission »zur Kenntnis«, sagte der Sprecher. Aus Kommissionssicht sei nun »eine umfassendere Diskussion zwischen allen Institutionen« über das Vorgehen in den Beitrittsverhandlungen nötig. Denn deren Weg sei festgelegt und verpflichte auch alle Seiten.
Die Kommission sei darüber hinaus entschlossen, eine Lösung im Streit um die Visa-Freiheit für die Türkei zu finden, sagte der Sprecher weiter. Brüssel denke, dass es möglich sei, »echten Bedenken, welche die Türkei mit Blick auf den Kampf gegen den Terrorismus haben könnte«, Rechnung zu tragen. »Wir arbeiten 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche, um das zum Funktionieren zu bringen«, sagte der Kommissionssprecher. Es gebe »Kontakte auf allen Ebenen«. Der Sprecher verwies dabei auch auf den Besuch des türkischen Europaministers Ömer Celik kommende Woche in Brüssel. Er trifft demnach den Vizepräsidenten der Kommission, Frans Timmermans, EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos und Sicherheitskommissar Julian King.
Die EU hatte Ankara im Zuge des Flüchtlingsabkommens eine beschleunigte Aufhebung der Visapflicht für türkische Bürger in Aussicht gestellt - eigentlich spätestens bis Oktober. Die Türkei weigert sich aber, als Voraussetzung ihre weit gefassten Anti-Terror-Gesetze zu ändern. Ankara hat mehrfach gedroht, den Flüchtlingsdeal mit der EU ohne die Visa-Freiheit platzen zu lassen.
Über mögliche Folgen einer Grenzöffnung durch die Türkei will die EU-Kommission indes nicht spekulieren. Der im März geschlossene Flüchtlingspakt sieht unter anderem vor, dass die EU alle Migranten, die illegal über die Türkei auf die griechischen Inseln kommen, zurückschicken kann. Rund drei Millionen Geflüchtete allein aus Syrien beherbergt die Türkei.
Erdogan kündigte am Freitag auch an, dass er einer Wiedereinführung der Todesstrafe zustimmen werde. Sollte das Parlament dies beschließen, werde er das Gesetz unterschreiben, sagte er bei einer Rede in Istanbul.
Unterdessen sind auch immer mehr Deutsche für einen Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. Inzwischen hielten es 56 Prozent der Bundesbürger für richtig, die Gespräche mit der Türkei wegen der dortigen innenpolitischen Entwicklung abzubrechen, heißt es in dem am Freitag veröffentlichten ZDF-»Politbarometer«. Vor zwei Wochen seien es noch 45 Prozent gewesen. Für ein Abwarten der weiteren Entwicklung in der Türkei plädierten der Umfrage zufolge nun nur noch 35 Prozent. Vor zwei Wochen seien dies noch 46 Prozent gewesen.
Eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes verwies in Berlin auf das »große Interesse« Deutschlands an einem »europäischen Weg« der Türkei. Es liege aber letztlich an Ankara zu entscheiden, ob dieser Weg fortgesetzt werde. Agenturen/nd
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