Wie die Streikbrecher

Weiße Arbeiter, die Donald Trump wählten, haben eine bewusste Entscheidung getroffen, die ihren Status sichern soll.

  • Jörn Schulz
  • Lesedauer: 7 Min.

Bei jeder Katastrophe gibt es Gewinner, auch bei der Wahl Donald Trumps. Zu ihnen könnte VW gehören. Der Konzern hat angekündigt, weltweit 30 000 Stellen zu streichen; am Standort Chattanooga, Tennessee, aber sollen 1100 Einstellungen erfolgen. Dort wird der »Atlas« produziert, ein SUV. Bis zum Frühjahr soll die EPA überprüft haben, ob die Firmenangaben über den Treibstoffverbrauch stimmen - falls die US-Umweltbehörde, die den VW-Abgasbetrug aufdeckte und die Trump für eine »Schande« hält, dann noch wie bisher arbeiten kann.

Steigen soll die Zahl der Beschäftigten in Chattanooga allerdings nur um 200. Möglicherweise will VW die Gelegenheit nutzen, um gewerkschaftlich organisierte Beschäftigte loszuwerden. Im August hatte die Arbeitsbehörde National Labor Relations Board (NLRB) VW angewiesen, die Vertretung der Gewerkschaft United Auto Workers (UAW) anzuerkennen und Verhandlungen aufzunehmen; der Konzern ging in Berufung. Ärger mit der NLRB hat auch Trump, er will die Gewerkschaftsvertretung in seinem Hotel in Las Vegas nicht akzeptieren und wird spätestens die im Oktober 2017 anstehende Neubesetzung des Generalrats der Behörde nutzen, um deren Arbeit seinen Vorstellungen anzupassen.

Der Autor

Jörn Schulz, geb. 1961 in Hamburg, studierte Geschichte und Islamwissenschaft. Seit 1991 schreibt er über Politik, Islam und Geschichte. Er ist Redakteur im Auslandsressort der linken Wochenzeitung »Jungle World«.

Ein rechter Präsident und ein Konzern gegen Gewerkschaften - business as usual im Klassenkampf, so mag es auf den ersten Blick erscheinen. Doch im Jahr 2014 wollte VW noch eine gewerkschaftliche Vertretung in Chattanooga, die Mehrheit der Beschäftigten aber lehnte sie in einer Abstimmung ab. Ausreichende Unterstützung fand die UAW im vergangenen Jahr dann nur unter den Arbeitern in der Instandhaltung. Auch die Abstimmung in Trumps Hotel fiel mit 238 zu 209 recht knapp aus.

Dass in den USA nur noch 6,6 Prozent der Beschäftigten in der Privatwirtschaft gewerkschaftlich organisiert sind, ist zum Teil eine Folge des »union busting«, der Behinderung der Organisierung durch Mobbing oder Entlassungen, sowie gewerkschaftsfeindlicher »Right to Work«-Gesetze, die auch in demokratisch regierten Bundesstaaten erlassen wurden. Doch kann man schwerlich behaupten, dass die Arbeiter es früher leichter hatten, etwa als 1936/37 beim General Motors-Streik in Flint, Michigan, die Nationalgarde Maschinengewehre auffuhr und 14 Arbeiter von Schüssen der Polizei verletzt wurden. Dass es für den Einzelnen derzeit oft unmöglich ist, sich vergleichsweise harmlosen Methoden des »union busting« zu widersetzen, liegt am Mangel an Solidarität. Wer die Lohnabhängigen nicht als Herde von Stimmvieh betrachtet, die es nur in die gewünschte Richtung zu treiben gilt, kommt nicht umhin, sich mit den Ursachen dieser Entwicklung zu befassen.

Trump verdankt seinen Wahlsieg nicht allein, aber auch weißen Arbeitern - nicht den Ärmsten, sondern jenen mit einem Einkommen von mehr als 50 000 Dollar pro Jahr, die in den vergangenen Jahrzehnten kaum etwas gewonnen, aber immer noch etwas zu verlieren haben. Dass nur wenige Afroamerikaner und Latinos der gleichen Schicht Trump wählten, beweist, dass Klasseninteressen nicht ausschlaggebend waren. Trump prahlt damit, keine Steuern zu zahlen, und verbirgt seine gewerkschaftsfeindlichen Ansichten ebensowenig wie seine Absicht, die Steuern für Reiche und Unternehmer erheblich zu senken. Auch jenen, die an die Trumponomics - die Schaffung von Arbeitsplätzen durch nationale Abschottung - und das vage Versprechen eines Konjunkturprogramms glauben, ist das Schicksal der Nichtweißen unter ihren Kollegen offenkundig egal.

Das war nicht immer so. Gewerkschafts- und Bürgerrechtsbewegung waren seit den dreißiger Jahren miteinander verbunden. Der »Marsch für Jobs und Freiheit«, bei dem Martin Luther King am 28. August seine berühmte »Ich habe einen Traum«-Rede hielt, wurde maßgeblich von Gewerkschaften getragen, Kings letzte Aktivität vor seiner Ermordung am 4. April 1968 war die Vorbereitung einer Solidaritätsdemonstration für die Beschäftigten der Müllabfuhr von Memphis, deren Streik verboten worden war. Zu dieser Zeit gingen in Chicago die Hillbilly Nationalists mit ihren auf die Jeansjacken genähten Südstaaten-Flaggen auf die Straße - gemeinsam mit den Black Panthers, nach deren Vorbild sie sich organisiert hatten (und auf deren Drängen sie schließlich auf die Südstaaten-Flaggen verzichteten).

In den sechziger Jahren hatten sich sieben Millionen weiße und rassistisch sozialisierte Südstaatler im Norden angesiedelt. Die meisten von ihnen waren ärmer und ungebildeter als die durchschnittlichen Trump-Wähler unserer Tage, sie standen in Konkurrenz zu den Afroamerikanern um die miesesten Jobs, die der Norden zu bieten hatte. Doch sie organisierten sich für ihre unmittelbaren Interessen, kämpften gegen Polizeigewalt und Unternehmerwillkür, forderten besseren Wohnraum und bessere Schulen. Der weiße Arbeiter ist also kein hoffnungsloser Fall.

In der Debatte über die Ursachen von Trumps Wahlsieg wird nun oft den »liberalen Eliten«, den Demokraten und den sozialen Bewegungen, die sich für Transgender-Toiletten einsetzen, statt sich um die Sorgen der Arbeiter zu kümmern, die Schuld zugeschoben. Tatsächlich war die Politik der Demokraten seit den neunziger Jahren wenig geeignet, Arbeiter für die Partei zu gewinnen. Die Gewerkschafter waren bereits aus der Parteiführung verdrängt worden, als Bill Clinton ab 1993 die wirtschaftsliberale Politik Ronald Reagans fortsetzte, das Finanzsystem deregulierte, unternehmerfreundliche Freihandelsverträge schloss und die Sozialleistungen kürzte. Auch unter der Präsidentschaft Barack Obamas stagnierte die Lohnentwicklung, er setzte jedoch mit dem Affordable Care Act (»Obamacare«) eine bedeutende Gesundheitsreform durch.

Hillary Clinton nahm unter dem Druck der Kampagne von Bernie Sanders eine Reihe linker Forderungen, unter anderem eine Erhöhung des Mindestlohns auf 15 Dollar, eine Vermögenssteuer und Gesetze gegen »union busting«, in ihre Wahlplattform auf. Doch auch wenn man dies als unglaubwürdig einstuft - die Enttäuschung über die Demokraten reicht nicht aus, um die Stimmabgabe für einen rechtsextremen Milliardär zu erklären. Diese hat etwas mit den »liberalen Eliten« zu tun, allerdings wenig mit deren tatsächlichen und vermeintlichen Versäumnissen.

Das Personal der demokratischen Präsidenten Clinton und Obama bestand überwiegend aus Technokraten, meist Absolventen der angesehensten Universitäten. Die Regierungspraxis war von einer bildungselitären Haltung geprägt, der zufolge der Konsens der Experten für die richtige Politik bürge; Bildungsförderung galt als das entscheidende Mittel, sozialen Aufstieg zu ermöglichen. Hier gäbe es viel zu kritisieren, wer sich als Lohnabhängiger um sein Einkommen sorgt, müsste sich vor allem über das völlige Versagen der bürgerlichen Ökonomen empören, die nach der Finanzkrise unverdrossen so weitermachen wie zuvor und die Wirtschaftspolitik Obamas prägten.

Den Hass der Wähler Trumps aber zieht alles auf sich, was mit Gender und »affirmative action«, der Gleichstellung von Minderheiten, zu tun hat. Es schließt kein Stahlwerk, weil mehr Afroamerikaner Zugang zu den Universitäten haben und dort über die Rechte von Transsexuellen debattiert wird. Aber eine große Zahl von Weißen sieht durch die Politik der »diversity« ihren Status bedroht. Amerika »wieder« groß zu machen, wie Trump es verspricht, bedeutet für seine Wähler eine Rückkehr zur unangefochtenen weißen und patriarchalen Vorherrschaft, wie sie in den fünfziger Jahren bestand, als Afroamerikaner allenfalls in der Unterhaltungsindustrie Karriere machen konnten und Frauen noch brav das nächste Bier aus dem Kühlschrank holten.

Wie es zu dieser Entwicklung, die ja in ähnlicher Form auch Europa prägt, gekommen ist und was dagegen getan werden kann, ist noch nicht hinreichend geklärt. Wer nicht dem Klischee vom weißen Arbeiter als hemdsärmeligem Macho huldigt, kann sich mit der Schuldzuweisung an »liberale Eliten« jedoch nicht zufriedengeben. Fragen von Gender und Sexualität sind kein Hobby der Bourgeoisie, auch ein Stahlarbeiter kann homo- oder transsexuell sein. Elitäre Linke, die sich um soziale Fragen nicht kümmerten, gab es bereits in der radikalen Jugendkultur der sechziger Jahre; heute wäre das »union busting« überflüssig, wenn es keine Bemühungen um gewerkschaftliche Organisierung mehr gäbe.

Die Solidarität am Arbeitsplatz ist die elementarste, ihre Notwendigkeit ist am leichtesten zu begreifen und sie kann Ausgangspunkt für weitere Lernprozesse sein, wenn im Arbeitskampf und im alltäglichen Kleinkrieg mit dem Chef Unterschiede der Hautfarbe und der sexuellen Orientierung an Bedeutung verlieren. Rechte Arbeiter hat es immer gegeben, ihre Zahl hat jedoch erheblich zugenommen. Sie haben die wirtschaftsliberale Konkurrenzideologie angenommen, aber rassistisch und sexistisch gewendet: Hass statt Solidarität.

Den Klassenkampf zu predigen hilft da nicht weiter. Dass der Mob und nicht die Gewerkschaft ihre bevorzugte Organisationsform ist, setzt der Aufklärung als Gegenstrategie Grenzen. Nachgiebigkeit wird von Rechten als Schwäche wahrgenommen, auf die sie mit weitergehenden Forderungen reagieren. Derzeit bleibt wenig anderes übrig, als die Wähler Trumps - und ihre europäischen Pendants - als Scabs, Streikbrecher, zu behandeln, als Feinde des gesellschaftlichen Fortschritts, denen man offensiv entgegentreten muss.

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