Europas Linke auf der Suche nach politischen Schnittmengen

Das Parteienbündnis versammelt von Kommunisten über Grüne bis Ökosozialisten ein breites Spektrum in seinen Reihen - was gleichermaßen Gewinn und Problem ist

Der Entwurf des Politischen Dokuments zum Kongress der Europäischen Linken am Wochenende lässt kaum ein gutes Haar an Ausrichtung und Zustand der EU. Akribisch haben die AutorInnen analysiert, woran Europa derzeit krankt und wie ein besseres Europa aussehen müsste. Von einer »existenziellen Krise« der EU ist da die Rede und vom »Bankrott des gegenwärtigen Modells«, von Massenarbeitslosigkeit, Jobunsicherheit und Armut. »Die Werte, die die Europäische Union angeblich begründen, sind faktisch verschwunden«, heißt es. Die zweifellos richtigen Einschätzungen münden in einen Alternativvorschlag: Ein »solidarisches, feministisches, demokratisches und kooperatives Europa« wollen sich die Vertreter von 25 Mitglieds- und sechs Beobachterparteien auf die Fahne schreiben. Ein Europa, »das es den Menschen ermöglicht, die Kontrolle über ihre ökonomischen Entscheidungen zu übernehmen«. Dazu müssten, wie die Ankündigung der LINKEN betont, »soziale Bewegungen, Gewerkschaften und politische Organisationen Bedingungen schaffen, die die Entwicklung alternativer Projekte zum neoliberalen Modell ermöglichen«. Ganz im Sinne des Konferenzmottos Building Alliances - Allianzen bilden.

Ob und wie das allerdings umgesetzt werden soll, steht auf einem anderen Blatt. Denn genau wie die anderen sogenannten Europäischen Politischen Parteien - von Christ- über Sozialdemokraten bis hin zu Grünen und Liberalen - fristet die EL ein Nischendasein. Zwar meldeten sich die Europäischen Linken in der jüngeren Vergangenheit via Pressemitteilung verstärkt mit Positionen zu aktuellen Ereignissen oder Entwicklungen zu Wort, wie etwa zu den Friedensverhandlungen in Kolumbien, zum Kampf gegen Gewalt gegenüber Frauen oder der Verhaftung von Abgeordneten in der Türkei. Auch die jährliche Sommeruniversität der EL ist inzwischen eine Institution und der mit der Europäischen Linkspartei verbundene Thinktank »transform!« liefert fundierte Studien zur Situation in Europa. Tatsächlich Aufmerksamkeit erhält die EL in EU-Europa jedoch selten.

Es sei denn, die Europäische Linke wartet mit spektakulären Personalentscheidungen auf. Eine solche war auf dem Madrider Kongress vor drei Jahren zweifellos die Nominierung des griechischen Premiers und SYRIZA-Vorsitzenden Alexis Tsipras als Bewerber der EL für den Vorsitz der EU-Kommission. Neue Regelungen für die Europawahlen 2014 hatten festgelegt, dass die Europäischen Parteien eine Kandidatin oder einen Kandidaten für diesen Posten aufstellen, die der jeweiligen Parteienfamilie »ein Gesicht gibt«. Mit 6,92 Prozent der Stimmen hatte Tsipras durchaus einen Erfolg erzielt; die Linksfraktion im Europaparlament, die sich aus der GUE/NGL rekrutiert, konnte mit 52 Sitzen gegenüber der vorherigen Legislatur mit 35 Mandaten deutlich zulegen.

Auf dem Berliner EL-Parteitag steht abermals eine Personalie zur Debatte, die für Schlagzeilen sorgen dürfte: Gregor Gysi, Elder Statesman der LINKEN, tritt für den Vorsitz an. Vorausgegangen war eine langwierige Diskussion innerhalb der deutschen Linkspartei. Noch im September hatte der LINKE-Vorstand dem Bundesausschuss empfohlen, die Bewerbung von Gregor Gysi als EL-Vorsitzender »zu unterstützen« - was zu einem Votum von gerade einmal rund 60 Prozent führte. Hinter den Kulissen hieß es, Gysi sei einigen Kreisen in der Partei zu »proeuropäisch«. Der Bundesausschuss, dem die Nominierung der Linkspartei-Vertreter in den EL-Gremien obliegt, verschob darauf seine Empfehlung auf November (offiziell hieß es, Gysi brauche noch Bedenkzeit), um dann ein klares Votum pro Gysi zu erteilen. Tatsächlich jedoch dauert die Diskussion in der LINKEN, ob die EU reformfähig oder generell abgeschafft werden soll, nahezu unvermindert an. Das muss nichts Negatives sein, führt aber immer wieder zu Anwürfen auch aus SPD- und Grünen-Kreisen, die LINKE sei antieuropäisch - und daher nicht koalitionsfähig.

Ist die LINKE in Sachen Europa schon schwer zu händeln, gilt dies noch viel mehr für die EL. Zwar ist die große Vielfalt der dort vereinten Gruppierungen durchaus ein Gewinn für die politische Debatte, doch behindert sie nicht selten die praktische Arbeit. Alle drei bisherigen Vorsitzenden - der Italiener Fausto Bertinotti, der deutsche Lothar Bisky und der Franzose Pierre Laurent - beklagten mehr oder minder offen die überaus komplizierte Bildung gemeinsamer Positionen. In einer internen Analyse der Linkspartei-Vertreter im EL-Vorstand wird nicht nur auf die »sehr unterschiedlichen Haltungen« der Mitglieder zu politischen Fragen verwiesen. Auch heißt es, der EL gelinge es nicht, »schnell auf politische Entscheidungen zu reagieren«. Ein Papier zu den Erwartungen an den EL-Kongress, das im Ältestenrat der LINKEN debattiert wurde, konstatiert: Die »faktische Akzeptanz von EU-Institutionen stößt in Teilen der Linken auf scharfe Ablehnung, da die Haltung zur EU generell eine der umstrittensten politischen Fragen innerhalb der Linken darstellt«.

Überraschend ist das nicht. Denn das Problem liegt in Aufbau und Zusammensetzung der EL selbst. Das Spektrum der Mitglieder und Beobachter reicht von Parteien, die die EU grundsätzlich ablehnen, über Kräfte, die zumindest die vertraglichen Grundlagen der Gemeinschaft radikal demokratisieren wollen, bis hin zu eher reformorientierten Gruppierungen, die auch mit einer Veränderung in kleinen Schritten leben können. In einigen Staaten, wie in Spanien mit der Kommunistischen Partei, der Vereinigten Linken sowie der Vereinigten und alternativen Linken, finden sich gleich Vertreter für alle dieser Positionen. Eine tatsächliche »Partei der Parteien« ist mit dieser Bandbreite schwer zu bilden. Zudem ist auch bei den Linken das nationale Hemd mitunter näher als die internationale Hose - was sich beispielsweise in der Position der französischen Parteien zur Atomenergie zeigt.

In Frage stellen will die EL jedoch niemand, schließlich gilt die internationale Zusammenarbeit als eine der Grundfesten der Linken. Und bei solchen Forderungen wie nach Frieden, sozialer Gerechtigkeit und einer fairen Weltwirtschaftsordnung oder nach Transparenz und Demokratie innerhalb der EU als unmittelbare Aufgabe herrscht weitestgehend Konsens. Diether Dehm, Bundestagsabgeordneter der LINKEN und Schatzmeister der EL, spricht von einem »komplizierten Verhältnis« innerhalb des Parteienbündnisses: »Es ist und bleibt die politische Kunst, keinen Bruch zwischen den reformerisch orientierten und demokratisch-revolutionären Kräfte zuzulassen und sowohl für radikale Veränderungen wie für den kleinen Schritt offen zu sein.« Diplomatisch korrekt heißt es im Entwurf der Politischen Erklärung, die EL versammele »eine breite Front verschiedener Kräfte: KommunistInnen, SozialistInnen, RepublikanerInnen, AntikapitalistInnen, Grüne, FeministInnen, ÖkosozialistInnen und andere demokratische und progressive Gruppen«. Konstatiert wird jedoch von nahezu allen Seiten, dass die EL an Attraktivität zugelegt hat, nicht zuletzt vor dem Hintergrund des Erstarkens rechtsextremer und rechtspopulistischer Kräfte in Europa. Der Frage, weshalb es der Europäischen Linkspartei nicht gelingt, in Osteuropa Fuß zu fassen, muss sich der Berliner Kongress stellen. Mehr als ein Vierteljahrhundert nach Ende des Realsozialismus dürfte die noch in den 1990er Jahren grassierende Sorge der dortigen linken Kräfte vor einer abermaligen Bevormundung unbegründet sein.

Gysi wird von allen Seiten zugetraut, die teils konträren Meinungen unter einen Hut zu bringen. Sollte das Politische Dokument am Sonnabendabend angenommen werden, gibt es dafür zumindest eine handhabbare Arbeitsgrundlage.

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