Feine Fährten durch das Weltenlabyrinth
Das Tanztheater Wuppertal zeigt in Berlin Pina Bauschs »Palermo Palermo«
Friedrich II., der legendäre Staufer-Kaiser, war dort und fand im imposanten Dom normannisch-arabischen Stils seine Grablege. Pina Bausch war, Jahrhunderte später, auch dort und setzte der sizilianischen Kapitale auf ihre Weise ein Denkmal. »Palermo Palermo« heißt der Doppelseufzer ohne Komma und ist die Frucht einer Einladung in diese Metropole, mit Premiere in Wuppertal Ende 1989. Das dreistündige Stück ist Bauschs tanztheatrale Antwort auf Eindrücke vom Aufenthalt. Wer einen rotfadigen Kommentar mit heimtragbarer Quintessenz erwartet, kommt nicht auf seine Kosten. Wohl aber legt die Choreografin süffisant Fährten, auf denen man mitwandeln kann, ohne an Ziele zu gelangen. Ein tanztheatrales Labyrinth tut sich auf, aus dem man Auswege erhofft und sich nur desto mehr in ihm verstrickt: hohe Kunst der Doppelbödigkeit.
Schon der Beginn foppt. Randhoch verdeckt die Bühne im Haus der Berliner Festspiele eine Mauer mit projizierten farbigen Ornamenten. Doch urplötzlich kippt der Wall rückwärts ab, hinterlässt eine Staubwolke und zerplatzte Träume vom hehren Sehnsuchtsland. Dass dies eine Reminiszenz an den Berliner Mauerfall sei, hat Bausch bestritten, trotz der zeitlichen Nähe. Eher mag es um den prinzipiellen Verlust von Illusionen gehen. Über das Feld aus Hohlsteinen irrt eine Frau in Pumps, kommandiert Männer herbei, die ihre Hand halten, sie umarmen sollen, ständig brüsk zurückgewiesen werden, sie schließlich mit einer klebrigen Substanz bewerfen. Menschen in Einsamkeit, Ohnmacht, Zerwürfnis sind es, die der erste Teil in zahllosen Miniaturen vorführt, Geschädigte, allerdings auch rechte Schlitzohren. Manch Absurdes und Surreales entsteht und ist kaum zu entschlüsseln. Die Bilder aber haften. Nach einem Schuss erklimmt eine Frau das Portal, alle legen sich. Ein rotbefrackter Kellner serviert, wie das Sitzen an Bartischen ein jeweils variiertes Thema bleibt.
Auf den Trümmern hält ein Hund genüsslich Picknick; einer Liegenden werden wie einem Leichnam Arme und Füße umwunden; sie mag keine Perlen, verkündet eine Frau, und trägt doch eine Kette; küss mich, fordert eine andere, die vorher den Mund mit Puderzucker versüßt hat. Ein Mann schüttet aus seinem Rucksack endlos Münzen; ein anderer streift seinen Gipsarm unvermittelt in eine Plastiktüte ab, ein Frau rutscht beim Gehobenwerden aus dem Kleid. Menschen werden getragen oder geführt als willfährige Marionetten. So stößt sich eine Getragene am Portal ab, scheint mit Hilfe des Partners aus eigenem Impuls zu fliegen; der wickelt sie im Spagat in eine Decke ein und schleppt sie fort. Geschichten werden eingestreut, wie die von der Zigeunerin, deren Schoß nach dem Geliebten bellt, oder von der Nachtigall. Ein Mann salbt seine Ferse, sieht TV, kleidet sich androgyn um, auch in madonnenhaften Strahlenkranz, wedelt mit Fächern, verspeist auf einem Bügeleisen gebratene Eier und agiert stets anders als erwartet. Nichts ist, wie es scheint. Auch der starke Monolog von den Spaghetti, die nur ihr gehören und niemandem geliehen werden, ist Gleichnis: auf den Egoismus unserer Zeit.
Einprägsamer noch gelingen die Gruppenbilder im zweiten Teil. Die Steine sind strikt mit dem Loch nach vorn gerichtet, doch noch immer brüchiger Grund des Tuns. Eine Frau sammelt Schnee im Kühlschrank - für den Sommer, eine andere trinkt unter der Burka Bier, eine dritte zieht sich öffentlich Slips an. Ein Mann zitiert die Spaghetti-Szene, wirft die Fäden und sticht sich damit. Von einer Frau, raffiniert als Rad gedreht, wird er aus dem Sektkelch bespritzt. Vorm Wolkenhorizont intonieren sechs Pianisten Tschaikowski. Ein Mann wäscht sein Hemd und zieht es an, an anderer lackiert gefällig die Fingernägel rot und entkleidet sich zum Sonnenbad im Trüben, begleitet von einer Dame mit Revolver, der jedoch nicht schießt.
Am Ende formieren sich die Geschlechter zum plärrenden Trauermarsch mit Äpfeln auf dem Kopf, danach zu fröhlichem Dudelsack als hypnotischer Endloszug Gebeugter. Auch die Fabel vom Fuchs, den die Gänse austricksen, verläuft im Ungefähren, löst die Frage nach der Stückabsicht nicht auf. Nazareth Panadero und Julie Shanahan, Dominique Mercy und die anderen langgedienten oder neueren Bauschianer machen ihrer verstorbenen Meisterin indes alle Ehre.
19.12., 19.30 Uhr, Haus der Berliner Festspiele, Schaperstraße 24; www.berlinerfestspiele.de
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