Mord und Totschlag live und in Farbe auf Youtube

In den sozialen Medien verbreiten sich Videos von Anschlagsopfern / »Berliner Morgenpost« steht wegen Livestream in der Kritik

  • Elsa Koester
  • Lesedauer: 4 Min.

Man sieht umgefallene Bretterbuden, herumrennende Menschen, Weihnachtsbeleuchtung. Der Redakteur der »Berliner Morgenpost« streamt live vom Weihnachtsmarkt vor der Gedächtniskirche, kurz nach dem mutmaßlichen Attentat. Unter dem LKW liegen noch Leichen.

Wegen dieses Videos ist die »Morgenpost« in die Kritik geraten. Zwar versuchte der Reporter explizit, keine Verletzten zu zeigen, und machte das auch in seinem Kommentar deutlich. »Es liegen hier leider Verletzte herum«, sagte der Reporter: »Ich will hier auch gar nicht auf die Opfer halten.« Dennoch konnte man zwischendurch am Rande des Videos herumliegende Körper sehen.

Während der Live-Aufnahmen war der Redakteur beschimpft und angegriffen worden. Aufgebrachte Passanten entrissen ihm das Smartphone. Darauf reagierte der Redakteur in dem Video mit Ruhe. »Ich wurde natürlich angefeindet, was auch klar ist«, sagte er nach dem Vorfall, immer noch live. Die vollständige Version des Videos wurde später aus dem Netz genommen, ist aber noch immer auf anderen Kanälen zu finden.

Die Essener Funke Mediengruppe, die die »Morgenpost« verlegt, teilte auf Anfrage der Nachrichtenagentur »epd« mit, der Redakteur sei zufällig vor Ort gewesen, als der Lkw über den Weihnachtsmarkt raste. »Nach einer kurzen Abstimmung hat sich die Redaktion wenig später dazu entschlossen, die Geschehnisse am Breitscheidplatz einige Minuten live zu dokumentieren und sachlich über die Lage zu berichten«, hieß es in einer Stellungnahme. Nach der Rückkehr des Reporters in die Redaktion sei das Video mit aktuellem Material ergänzt und in editierter Fassung online veröffentlicht worden.

Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) kritisierte die Entscheidung, vom Tatort zu streamen. »Klar ist und klar muss sein: So arbeiten Journalisten in unserem Land nicht! Das verbieten ihnen ihr Informationsauftrag und das ethische Fundament, auf dem Journalistinnen und Journalisten stehen«, hieß es in einem am Dienstag veröffentlichten Blogeintrag der Journalistengewerkschaft. Von dem zerstörten Weihnachtsmarkt zu streamen, sei »wahnsinnig geschmacklos« und ein Verstoß gegen den Pressekodex gewesen.

Kritik gab es auch in sozialen Netzwerken. »Unfassbar, dass Ihr Kollege da der Meinung war alles filmen zu dürfen, die Zerstörung, die Toten und die verletzten Menschen - anstatt zu helfen!!!«, empörte sich eine Facebook-Nutzerin auf der Seite der »Morgenpost«.

Mord des russischen Botschafters: Live und in Farbe

Der Umgang mit Handyvideos vom Tatort in den Medien und den sozialen Medien sorgt nach Amokläufen und Anschlägen immer wieder für Diskussionen. Die Berliner Polizei rief noch am Montagabend dazu auf, keine Bilder zu verbreiten und stattdessen alles Material an das BKA zu schicken.

Nach dem Attentat auf den russischen Botschafter in der Türkei am Montagnachmittag verbreitete sich ein Video auf Youtube, das die Erschießung des Diplomaten unverpixelt zeigte. Auch die »Allahu Akbar« (Gott ist groß)-Rufe des Täters sind in dem Clip zu sehen. Die von der Türkei verhängte Nachrichtensperre konnte dies nicht verhindern.

Auch dem Amoklauf in München im Juli dieses Jahres wurden viele Videos und Fotos in Umlauf gebracht – allerdings auch einige gefälschte. So ging auf Twitter ein Foto herum, das am Boden liegende Menschen in einem Einkaufszentrum zeigt, umgeben von Blut. Das Bild war jedoch nicht in München, sondern in Südafrika nach einem Überfall 2015 aufgenommen worden, hatte damals die Internetplattform »Buzzfeed« noch am Abend aufgedeckt. Andere Bilder sollen den angeblichen Schützen zeigen. Der Mann, der auf den Fotos zu sehen ist, wurde aber bereits mit mehreren Schießereien in den USA in Verbindung gebracht und hatte mit den Geschehnissen in München nichts zu tun.

Gute Öffentlichkeitsarbeit der Polizei auf Twitter

Dass es diesmal nicht zu so vielen Gerüchten rund um den Anschlag kam wie damals in München, hat in erster Linie mit der guten Öffentlichkeitsarbeit der Berliner Polizei auf Twitter zu tun. Über den Einsatz-Account @PolizeiBerlin_E wurden rasch und über den Abend und die Nacht regelmäßig alle bestätigten Informationen veröffentlicht, auf deutsch und englisch.

Es gab nicht nur Handlungsanweisungen für das Verhalten im Netz und vor Ort, vor allem wurden Gerüchte und halbgares Wissen aus der Welt geschafft. Der Account wurde auch aufgrund der Geschwindigkeit für die Medien eine der wichtigsten Informationsquellen – eine Seltenheit. mit Agenturen

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