Abseits der banausischen Jetzwelt

Die Schaubühne Berlin zeigt in der Ausstellung »Too late« Werke von Katharina Ziemke

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 4 Min.

»Too late. I got my face on« nennt die Künstlerin, was in der Schaubühne noch bis zum 27. Januar zu sehen sein wird. Jüngste Werke von ihr. Sie zeigen Gesichter, Menschenkörper, Skulpturen, Figurinen, umhegt von spanischen Wänden aus bemaltem Papier und Leinwand. Nichts davon weist in die lächerliche, banausische Buntheit der Jetztwelt. Die Gestaltungen der Künstlerin stehen turmhoch darüber. Das Gezeigte negiert, was ist. Es ist besser als dies. Vergangenes wird aufgerufen, Magie, Altkultur, Leben in fremden Gefilden. Die Dinge sollen »unheimlich« sein. Die Ausstellung sei »eine Welt des Unheimlichen, eine Reminiszenz an den Jahrmarkt mit Kuriositätenkabinett (wie die bärtige Frau oder der Schwertschlucker)«, so Ziemke. Viel davon gibt es zu entdecken: Gesichter in ungewöhnlichen Farben und sonderbaren Musterungen. Das Schweigen toter Körper in antiken, der Bühne entlehnten, starren Gewändern. Kuriose magische Bildschichtungen weisen auf die heitere Unergründlichkeit, die Friedlichkeit, die Schönheit des Fernen, das weit hinter dem Jetzigen liegt und darum diesem voraus ist.

Dass einer der runden Räume der Schaubühne die Ausstellung beherbergt, sagt zugleich, dass Katharina Ziemkes Fähigkeiten hierher gehören. Hier ist sie zeitweise als Theatermalerin beschäftigt, was eine Bereicherung sei, so Intendant Thomas Ostermeier in seiner Eröffnungsrede. Ostermeier hält größte Stücke auf Katharina. Sie sei nicht nur eine große Künstlerin, sondern auch ein bezaubernder Mensch. Drei Inszenierungen habe er mit ihr bisher gemacht. Auch in der jüngsten, »Professor Bernardi«, trete sie als bildende Künstlerin in Aktion. Keine starren Gebilde entstehen, sondern was sie hinter und vor der Folie bemalt, korrespondiere mit den Aktionen der Darsteller. Malerei, extempore hingestellt aus der Situation heraus, so vergänglich wie die Arbeit der Schauspieler. Die Künstlerin folgt hier dem Prinzip der permanenten Überschreibung. Nichts, das nicht im nächsten Moment übermalt werden könnte.

Katharina Ziemke, geboren 1971, stammt aus Kiel. Sie studierte Kunst an der Ecole Nationale Supérieure des Beaux-Arts, Paris und zeigte Arbeiten in München, Paris, New York, Berlin etc. Im Gespräch mit Joseph Pearson, er führte die Ausstellung ein, sagt sie: »Ich lese sehr viel, hauptsächlich Philosophie: französische Philosophen aus dem 17. Und 18. Jahrhundert, vor allem Descartes. Nietzsche hilft mir zu verstehen, dass die Welt nicht für mich geschaffen wurde, damit ich darin leben kann, sondern dass ich sie willkommen heißen muss und mich nicht beschweren darf, selbst wenn sie grausam ist.«

Bestimmte Zeichnungen und Skulpturen beziehen sich aufeinander, »Java« und »Black« etwa mit der Skulptur »Gabriel«, dem Erzengel. »Java« zeigt halbdunkel eine Frau mit kariertem langem Kleid und Stöcken an den Händen. Ihr Gesicht ist kantig, Lippen und Vorderzähne überdeutlich. Die Rahmenleiste oben schneidet den Kopf quer durch. Im Hintergrund magische, dunkle Muster. Damit korrespondiert »Gabriel«, Skulptur aus gebranntem Ton, Wachs, Holzwolle, Stoff, Holz, Farbe. »Michael«, junger Held, sein Kopf antik, der Haarschopf lockig, mit kariertem Hemd am Leib, Michael, so geformt, verkörpert den Tod. Weiße Punkte liegen auf seiner Gestalt wie Schnee auf den Erfrorenen.

Abstrakt gehalten ist die großformatige Bemalung »Phantom« (ein mal zwei Meter), eine freie grau-weiß-schwarze Fantasie aus Tupfern. Genauer angeschaut, ist ein winziger Tierkopf darauf mit Augen wie ein Fuchs. Sechs Chinatuschzeichnungen auf Reispapier versammelt die kalkige, auf Barockes aus Kolonialzeiten weisende Performance »Strangers«. Alter Mann führt Elefant an der Leine, zeigt eine Zeichnung, eine andere die Gestalt des Mädchens mit Stiefeln. Ihr Körper ist zerteilt, als hätte der Lukas auf dem Rummel das Beil geschwungen. In ähnlicher Fantastik steht »Garland«, ein Schalk mit Hand in der Tasche. Der ist x-fach in normaler Fenstergröße aufgereiht, wie der Filmstreifen seine Bildformate bannt. In nur zwei Posen. Einmal zeigt der eine Arm nach rechts, im nächsten Bild der andere nach links. Am Boden ein spitzer Stein, der cineastisch wandert.

Magnetisch wirken »Black« und »Pharmaka«, beide gemacht mit Wachskreide auf Papier. Die Bilder verführen, sie minutenlang anzuschauen. »Pharmaka« zeigt den Kopf einer exotischen Frau, wie sie kein Kulturfilm oder Foto abzubilden vermag. Ihre Augen richten sich auf den Betrachter. Inkarnation üppiger Farben wider alles grau in grau. Der Kopf ist leicht erhoben und gemalt, als wäre er ein Bruchteil zusammengedrückt. Wenn es selbstbewusste Farben gibt, dann finden sie sich auf diesem wunderschönen, helldunklen Antlitz.

Katharina Ziemke: »Too late. I got my face on«, bis zum 27. Januar in der Schaubühne am Lehniner Platz, Kurfürstendamm 153, Charlottenburg.

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