Es kriselt weiter in Euroland
Die Konjunktur lief nicht schlecht, aber die wirtschaftlichen Aussichten auf 2017 sind mäßig
Auf den ersten Blick läuft die Konjunktur in der Eurozone gut. Die Wirtschaft wächst, wenn auch langsam. Zum Jahresende dürfte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) aller Euroländer über 1,5 Prozent gewachsen sein, in Großbritannien sogar um 2 Prozent. Es zeigt sich, dass der »Brexit« die Wirtschaft in Großbritannien bisher kaum gebremst hat. Und seit dem lauen Sommer scheint die Laune noch zu steigen. Das Stimmungsbarometer der EU-Kommission, für das tausende Unternehmen befragt werden, kletterte auf den höchsten Stand des Jahres.
Für 2017 ergibt sich indes ein zwiespältiges Bild: Zum einen dürfte sich die konjunkturelle Erholung fortsetzen, vorübergehend sogar mit etwas höherer Dynamik. Zum anderen verläuft der konjunkturelle Trend insgesamt recht flach. Von einem »mäßigen, aber stetigen Tempo« spricht der Präsident der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi.
Allerdings sehen Analysten Anzeichen, dass politische Risikofaktoren die Investitionsbereitschaft bremsen. Dabei sind die Auswirkungen der Trump-Wahl oder des gescheiterten Verfassungsreferendums in Rom noch ungewiss. Italiens Wirtschaft kommt nicht in Schwung, selbst in den Jahren vor der Finanzkrise war die Bilanz mau: Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) verharrt auf dem Niveau vom Jahr 2000 - während im selben Zeitraum das BIP im Euroraum um 18 Prozent, in Deutschland um 20 Prozent und in Spanien sogar um 25 Prozent zulegte. In Italien ist im vergangenen Jahrzehnt sogar die Produktivität gesunken. »Die Märkte« fürchten nun eine Fünf-Sterne-Regierung und eine Rückkehr der akuten Staatsschuldenkrise, wenn die Leitzinsen in Europa vielleicht schon im Sommer 2017 steigen werden. Der Bestand notleidender Kredite ist seit der Finanzkrise stetig gestiegen und liegt beim im europäischen Vergleich hohen Wert von zwölf Prozent ausstehender Kredite. Die ungelöste Bankenproblematik belastet das Wirtschaftsklima, sorgt sich das Institut für Weltwirtschaft. Da die Banken weniger Kredite vergeben, fällt es den besonders wichtigen kleinen Unternehmen schwerer, sich zu finanzieren.
Heikel ist die Lage noch in einem anderen großen Euroland: Die spanische Wirtschaft wuchs zwar 2016 um über drei Prozent. Aber der konservative Ministerpräsident Mariano Rajoy führt eine Minderheitsregierung, die 2017 wanken könnte. So hat er seit seinem Amtsantritt die Sozialkasse geplündert, um Finanzlöcher zu stopfen. Was seine Möglichkeiten einengt, der horrenden Massenarbeitslosigkeit entgegenzuwirken: Einer von fünf Spaniern lebt ohne Job. Die Erwerbslosenquote ist damit fast so hoch wie die der Griechen und doppelt so hoch wie im Durchschnitt der Euroländer.
In allen Staaten gibt es erhebliche Unterschiede zwischen einzelnen Regionen, zwischen Stadt und Land. Auch in Deutschland. Aufgrund seiner Größe ist die Bundesrepublik prägend für die Konjunkturstatistik. Auch wenn das BIP prozentual kaum schneller wachsen wird als im EU-Schnitt. Die Beschäftigung nimmt nach Jahren zwar nicht mehr zu. Doch die offizielle Arbeitslosenquote ist mit vier Prozent vergleichsweise niedrig.
Günstig schneiden auch andere exportorientierte Volkswirtschaften wie die Niederlande ab. Das Land lässt allerdings eine extrem hohe Zahl von Solo-Selbstständigen zu. Auch die eng mit der Eurozone verflochtenen Exportwirtschaften von Dänemark und der Schweiz laufen rund.
Griechenland hat sich leicht erholt. Die Wirtschaft wächst wieder. Und die Bedienung der Staatsschulden sollte auf Sicht der nächsten Jahre möglich sein. Ein weiterer Schuldenschnitt durch die EU und den Internationalen Währungsfonds zeichnet sich für 2017 ab.
Neu kriselt es im hohen Norden. Das neoliberale Wunderkind Finnland erholt sich nicht vom Niedergang des früheren Handy-Weltmarktführers Nokia. Die Wirtschaft stagniert, die Arbeitslosigkeit wächst trotz bestens ausgebildeter Beschäftigter und einer Hochtechnologiestrategie der Regierung.
Angesichts der durchwachsenen Aussichten schlagen der Industrieländerclub OECD und die EU-Kommission eine expansive Fiskalpolitik vor, um die Nachfrage anzukurbeln. Die Finanzminister der Eurozone lehnten dies bei ihrer Ratstagung im Dezember ab. Und so bleiben die politischen Risiken das beherrschende Thema im neuen Jahr.
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