Wir sind nicht »eure« Frauen - weder in Köln noch sonstwo

Rassistische Hetze schützt nicht vor Vergewaltigung: Gedanken zur Diskussion über sexuelle Übergriffe seit Silvester

  • Elsa Koester
  • Lesedauer: 6 Min.

Es geht wieder los: Rechtspopulisten, Identitäre und anderen Neonazis wollen »unsere Frauen« schützen und wären an Silvester in Köln aufmarschiert – wäre es ihnen nicht verboten worden. Um den Schutz von Frauen vor sexuellen Übergriffen geht es den Neurechten und Neonazis natürlich nicht. Wohl aber um die Verteidigung ihrer Verfügungsgewalt über Frauen in Deutschland gegen »die anderen« Männer: Muslime.

Die Tarnung des deutsch-nationalen Patriarchalismus als Verteidigung von Frauenrechten entdeckten Rechtspopulisten und Neonazis im Januar 2016. Das Jahr begann mit einem Aufschrei über die sexuelle Gewalt, die in der Silvesternacht massenhaft an Frauen verübt wurde. Seitdem ist viel passiert. Das Sexualstrafrecht wurde verschärft – ein »Nein« zu Sex gilt nun auch vor Gericht. Ein historischer Schritt, der ohne Köln so schnell wohl kaum gegangen worden wäre.

Gleichzeitig haben Sexualstraftäter in diesem Jahr aber auch in der Fantasie vieler Menschen in Deutschland ein Gesicht bekommen, das statistisch nicht haltbar ist: nämlich ein irgendwie »ausländisch« aussehendes. Was wir 2016 erlebten, war eine beachtliche Wendung in der Wahrnehmung von Tätern und Opfern, eine neue Konstruktion eines »Wirs«. Konnten von sexueller Gewalt betroffene Frauen zuvor kaum darauf hoffen, dass sich die öffentliche Wahrnehmung mit ihrer Position befasste oder gar identifiziert, geschah dies in Silvester mit großer Wucht: Plötzlich wurden nicht einige Frauen angegriffen, sondern »Wir«. Nicht von einigen Männern, sondern von »denen«: von muslimischen Männern.

Das geschlechtliche »Wir« wird zum deutsch-nationalen

»Wir Frauen« sind es eigentlich nicht gewöhnt, mit »euch Männern« zu einem »Wir« zu werden, wenn es um sexuelle Angriffe geht. Geschlechtergrenzen trennen für Rechte scheinbar weniger stark als ethnische oder nationale Konstruktionen. Frauen und Männer werden zu »wir deutschen Männern« mit »unseren Frauen«.

Dass auch in diesem Jahr nach vielen anderen großen Menschenansammlungen mit viel Alkohol Hunderte sexuelle Übergriffe angezeigt wurden (allein beim Oktoberfest waren es über 30) – nicht so schlimm. Die Identitären sprechen nicht von der »Schande von München«. So lange deutsche Frauen von deutschen Männern missbraucht werden, scheint alles in bester Ordnung.

Das ist nicht feministisch. Das zeigt nur: Die Verfügungsgewalt über Frauen soll nicht mit »anderen« Männern, in diesem Fall: Muslimen, geteilt werden. Die Empörung über die sexuellen Übergriffe von Silvester unter Neonazis ist auch ein Jahr später nichts anderes als deutsch-nationales Revierkampfgehabe.

Eine mehr als fragwürdige Solidarität, die die meisten Feministinnen doch lieber ablehnten. Unter dem Hashtag #Ausnahmslos forderten sie breite gesellschaftliche Maßnahmen gegen sexuelle Gewalt: egal, welcher Herkunft die Täter sind.

Historischer Fortschritt: Verschärfung des Sexualstrafrechts

Die Tragik der Geschichte von Köln ist, dass diese Verschiebung des »Wir«-Gefühls – die Identifikation mit den Opfern sexueller Gewalt und der völlige kulturelle Ausschuss der Täterherkunft – dann zu tatsächlichen gesellschaftlichen Fortschritten führte. Bis zu diesem Jahr hatte die letzte Gesetzesreform im Sexualstrafrecht 1997 stattgefunden – als die Vergewaltigung in der Ehe zum Straftatbestand wurde. Die Identifizierung mit den »unseren« Opfern führte dazu, dass die Diskussion um das Sexualstrafrecht, seit Jahren eingefordert von Feministinnen, plötzlich in die gesellschaftliche Breite ging.

Im Sommer wurde der Grundsatz »Nein heißt nein« tatsächlich in ein justiziables Recht umgewandelt. Demnach macht sich nicht nur strafbar, wer Sex mit Gewaltandrohung oder durch Gewalt erzwingt. Es reicht aus, wenn der Täter gegen den »erkennbaren« Willen des Opfers handelt – gegen ein erkennbares »Nein«. Dieser Grundsatz wurde im Sommer einstimmig vom Bundestag verabschiedet. Das macht nicht nur etwas mit der juristischen Verfolgbarkeit von Tätern, das macht auch etwas mit der gesellschaftlichen Wahrnehmung von Vergewaltigung. Die Sensibilität wächst.

Brücke und Brücken: Die Identifikation mit dem Täter

Ohne den Bruch mit der Täteridentifikation hätte diese historische Reform wohl nicht stattgefunden. Ein erkennbares Nein ist nicht überprüfbar, hieß es da in vielen Diskussionen über die Forderung von Feministinnen. Nachträglich kann ja jede Frau behaupten, sie hätte Nein gesagt – um dem Mann zu schaden. Hieß es.

Ein paar Beispiele. Als Dominique Strauss-Kahn 2011 von einer New Yorker Hotelangestellten wegen Vergewaltigung angezeigt wurde, trat er als Direktor des IWF zurück. Die Diskussion drehte sich jedoch nicht um die Angestellte, sondern um den Ruf des Politikers. Schnell galt die Frau aus Guinea als unglaubwürdig. Eine Prostituierte, titelte die »New York Post«, titelte bald das ganze Land. Es war die Unwahrheit. Die »New York Post« nahm es dann zwar zurück, doch zu spät. Strauss-Kahn konnte sich am Ende gerichtlich mit der Klägerin einigen.

Auch Woody Allen schränkten die Missbrauchsvorwürfe seiner Adoptivtochter Dylan Farrow kaum ein – er feierte im Mai sorglos seinen 63. Film »Café Society«. Rufmord, wurde Farrow vorgeworfen. Ähnliches gilt im Fall von Julian Assange. Für seine Fans in der linken und Datenschutz-Szene scheinen Vergewaltigungsvorwürfe nicht sonderlich schwerwiegend. Das ist doch eine Verschwörung. Hieß es.

Die andere Seite der Medaille

Leider wurden nach Köln auch die rassistischen Reflexe in Gesetz gegossen. Seit Silvester 2015 heißt es: »Das Gastrecht ist verwirkt.« Denn die Verschärfung des Sexualstrafrechts ging mit einer Änderung im Aufenthaltsgesetz einher. Hat ein Mensch, der in Deutschland Asyl beantragt hat, eine Frau sexuell belästigt, kann ihm sein Flüchtlingsstatus aberkannt werden – damit die Ausweisung beschleunigt wird. Wer wegen Vergewaltigung verurteilt wird, wird also abgeschoben. Wenn er keinen deutschen Pass hat.

Es war gut, dass die Frauen in der Silvesternacht, ermutigt durch die empörte Öffentlichkeit, ihr Recht auf körperliche Unversehrtheit und sexuelle Selbstbestimmung verteidigten und zur Polizei gingen. Nicht gut ist hingegen, dass dies nur dann in der Stärke geschieht, wenn sich die Gesellschaft rassistisch gegen Flüchtlinge wendet. Denn im Normalfall zeigen nur dreizehn Prozent der von Gewalt getroffenen Frauen dies an.

Es gibt keine Sicherheit

Es wird nicht nur in Köln vergewaltigt, und auch nicht nur an Silvester. Jede dritte Frau in Deutschland wird im Laufe ihres Lebens geschlagen, missbraucht oder vergewaltigt – meist in der Familie oder innerhalb einer Partnerschaft. Jede siebte Frau erlebt einmal in ihrem Leben schwere sexualisierte Gewalt. Im Gegensatz zu den Vorfällen von Silvester werden die meisten übergriffigen Männer in dieser brutalen Normalität jenseits von Domplatten nicht angezeigt.

Weder Abschiebungen, noch die 1500 Einsatzpolizisten in Köln an Silvester bringen Frauen in Sicherheit. Die Verschärfung des Sexualstrafrechts eher – jedenfalls ein bisschen. Es braucht aber mehr. Geschlechtersensible Pädagogik an Schulen, Ausfinanzierung von Frauenhäusern, aktuelle Dunkelfeldstudien zu Gewalt an Frauen: Die #Ausnahmslos-Kampagne hat dazu eine ganze Liste erstelllt. 2017 ist noch genug Zeit dafür. Jedenfalls so lange die AfD die Politik nicht bestimmt.

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