Warten auf das erste Robbenbaby
Vieles spricht dafür, dass die Kegelrobben die deutsche Ostseeküste für sich zurückerobern
Für die ultimative Rückkehr der Kegelrobbe an die deutsche Ostseeküste fehlt bislang der Nachweis einer Geburt eines Robbenbabys. Doch die Kegelrobben, die seit mehr als zehn Jahren zunehmend auf der Greifswalder Oie oder im Greifswalder Bodden entdeckt werden, fühlen sich in diesem Terrain offenbar sehr wohl. Mit einer »Spionagesoftware« haben Meeresbiologen einen Teil der Kegelrobben nun als alljährliche Wiederkehrer geoutet. Die Meeresbiologin Linda Westphal wertete für ihre Masterarbeit an der Universität Rostock 3000 Fotos von Kegelrobben aus, die zwischen 2007 und 2016 vor der mecklenburg-vorpommerschen Küste geschossen wurden.
Mit einer speziellen Mustererkennungssoftware (Photo ID) fahndete sie nach charakteristischen Mustern auf dem Robbenfell. »Jede Robbe hat eine stabile, individuelle Fellfärbung, die sie von anderen Robben unterscheidet«, erklärt der Kurator für Meeressäuger am Deutschen Meeresmuseum, Michael Dähne. Bislang wurden mit dieser Methode 15 Robben auf mehreren Fotos aus verschiedenen Jahren wiedergesichtet. »14 von ihnen haben immer wieder denselben Liegeplatz aufgesucht«, berichtet Dähne. Sieben der 15 Robben sind sogar jährlich wiederkehrende Säuger. »Diese Daten sprechen für eine große Standorttreue«, sagt der Meeresbiologe, unter dessen Leitung das Projekt am Meeresmuseum fortgesetzt werden soll.
Damit mehren sich die Indizien, dass die Kegelrobbe ihren vor etwa 100 Jahren verlorenen Lebensraum langsam aber sicher wieder zurückerobert. Dieses Jahr fanden Meeresbiologen auf Mönchgut (Insel Rügen) beispielsweise ein totes Robbenbaby, das noch Reste des typische Babyfells, auch Lanugo genannt, trug. Dieses plüschig weiße Fell tragen Robben nur in den ersten drei Wochen nach der Geburt. 2015 war eine trächtige Kegelrobbe wochenlang auf der Greifswalder Oie gesichtet worden. Kurz vor der Geburt verschwand das Tier vermutlich Richtung Norden. Da Robben immer wieder an ihren alten Wurfplatz zurückkehren, wäre eine Geburt eines Robbenbabys ein wichtiges Zeichen für die Wiederansiedlung, sagt Dähne. Kegelrobben haben eine Lebenserwartung von etwa 40 Jahren.
Bejagung und Umweltgifte hatten in der Vergangenheit zu einem Bestandseinbruch bei den Meeressäugern geführt, von dem sie sich nun allmählich erholen. Mittlerweile leben in der Ostsee wieder rund 35 000 Tiere, nachdem der Bestand in den 1980er Jahren auf etwa 2000 Tiere gesunken war. Dennoch ist mit 35 000 Individuen die ursprüngliche Populationsgröße - 100 000 Robben waren es vor mehr als 100 Jahren - noch nicht erreicht. Doch die Tendenz zeigt weiter nach oben: Die jährlichen Wachstumsraten der Kegelrobbenpopulation in der Ostsee schätzen die Forscher auf etwa 7,9 Prozent. »Die Kapazität der Ökossysteme lässt ein weiteres Wachstum vermuten«, zeigt sich Dähne vorsichtig optimistisch. Es gebe ausreichend Nahrung für den Fischfresser in der Ostsee. Zudem nehmen die gefährlichen Umweltgifte nach und nach ab.
In die Ostsee über Flüsse eingeleitetes DDT (Dichlordiphenyltrichlorethan), aber besonders PCBs (polychlorierte Biphenyle) hatten unter anderem Veränderungen am Uterus weiblicher Robben verursacht, so dass statistisch nur eines von zehn Weibchen trächtig wurde. Die normale Trächtigkeitsrate liege bei neun von zehn adulten Weibchen, sagt Dähne. Die Auswirkungen seien noch lange spürbar gewesen, da erst eine neue Generation mit fruchtbaren Weibchen heranwachsen musste.
Dennoch gebe es auch gegenläufige Faktoren, die das Wachstum des Kegelrobbenbestandes hemmen. So fehlt es an geeigneten Liegeplätzen für eine ungestörte Geburt und Aufzucht von Jungen in den ersten drei Lebenswochen, in denen die Babys noch nicht ins Wasser können. »Der Große Stubber, eine Untiefe im Greifswalder Bodden, wurde nach der Ausrottung der Kegelrobben abgetragen, so dass die Tiere dort nicht mehr sicher im Trockenen liegen können«, sagte Dähne.
Neben dem Großen Stubber ist bei den wiederkehrenden Robben als Liegeplatz die Ostseeinsel Greifswalder Oie gefragt. Im Januar 2016 wurden an der Oie 67 Robben beobachtet, einen Tag später zählte die Besatzung des Behördenschiffes »Arkona« 86 Tiere. Ein Naturschützer registrierte vom Südperd der Insel Rügen aus an einem Tag 95 Tiere auf dem Eis liegend.
Solche Zufallsbeobachtungen helfen dem Meeresmuseum - ebenso wie die App »Ostseetiere« - den Bestand von Meeressäugern an den Küsten einzuschätzen. Das Meeresmuseum geht davon aus, dass inzwischen bis zu 100 Robben in der südlichen Ostsee zwischen Rügen und Usedom leben. Den Forschern scheint die relativ ungestörte und nur von Naturschützern des Vereins Jordsand bewohnte Greifswalder Oie auch der ideale Ort für die lang erwartete Geburt eines Robbenbabys zu sein. dpa/nd
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