Sehtraining sorgt für Entspannung

Fehlsichtigkeit lässt sich nicht einfach »wegtrainieren«

  • Angela Stoll
  • Lesedauer: 5 Min.

Diverse Ankündigungen im Internet wecken Hoffnungen. »Meine Altersweitsichtigkeit habe ich mir in nur zwei Wochen wegtrainiert«, zitiert ein Anbieter dort eine Kundin. »Mit dem richtigen Augentraining wieder ohne Brille sehen«, wirbt ein anderer. Angefangen von der Kurzsichtigkeit über die Weitsichtigkeit bis hin zur Nachtblindheit und zu trockenen Augen gibt es kaum ein Sehproblem, das sich demnach nicht zumindest verringern lässt. Allerdings gehen die Meinungen darüber, ob solche Erfolge möglich sind, stark auseinander.

Das Angebot in dem Bereich ist sehr vielfältig und umfasst, je nachdem, verschiedene Entspannungsmethoden wie Yoga, Feldenkrais oder autogenes Training, Akupunktur, Farbtherapie, Ernährungstipps und psychologische Beratung. »Wir betrachten das Auge als Teil des Ganzen«, erklärt Belen Mercedes Mündemann, Vorsitzende des Vereins für Gesundes Sehen, in dem sich 135 Sehtrainer bzw. -therapeuten zusammengeschlossen haben. »Wir sind davon überzeugt, dass es enge Wechselwirkungen zwischen dem Auge und dem ganzen Menschen gibt.« Damit grenzt sich Mündemanns ganzheitlicher Ansatz von schulmedizinisch orientierten Augenärzten ab, die ein »funktionell-medizinisches« Verständnis vom Auge haben, wie sie sagt: »Das ist eine ganz andere Sichtweise der Dinge.«

Hilfe für müde Augen

Palmieren (von »palm«, englisch für Handfläche): Dazu setzt man sich bequem hin, beugt sich mit geradem Rücken nach vorn und stützt sich mit den Ellbogen auf einen Tisch. Man schließt die Augen und legt beide Hände leicht gewölbt über die Augäpfel. Dann atmet man tief durch und genießt ein paar Minuten lang die Dunkelheit. Danach entfernt man langsam die Hände.

Fernblick: Wer lange in die Nähe starrt, sollte ab und zu aufblicken und in die Ferne sehen. Man schaut aus dem Fenster und steuert ein Ziel an, das mindestens sechs Meter entfernt ist. Dann lässt man den Blick an den Konturen entlang wandern.

Blinzeln: Bei längerer Bildschirmarbeit können die Augen austrocknen. Bewusstes, schnelles Blinzeln sorgt für Feuchtigkeit.

Schwingen: Dazu stellt man sich mit leicht gegrätschten Beinen hin und lässt die Arme locker hängen. Dann dreht man sich in einem Bereich von etwa 90 Grad sanft zu einer Seite, dann zur anderen. Die Augen folgen der Bewegung, ohne einen Gegenstand zu fixieren.

Gähnen: Lautstark gähnen, dabei die Augen zusammenkneifen und sich strecken: Das befeuchtet die Augen und entspannt die Muskulatur. Auch effektiv, wenn das Gähnen künstlich ist. as

Durch konsequentes Training lasse sich die Altersweitsichtigkeit hinauszögern und Kurzsichtigkeit verbessern. »Wer jeden Tag übt und ansonsten gesunde Augen hat, kann seine Kurzsichtigkeit nach einem halben Jahr um zwei bis drei Dioptrien verbessern«, sagt Mündemann. In ihren Kursen konzentriert sich die Heilpraktikerin für Psychotherapie auf die Altersweitsichtigkeit und das stressfreie Sehen. Dabei arbeitet sie mit Entspannungs- und Wahrnehmungsübungen. Auch »Augenspaziergänge«, bei denen die Wahrnehmungsfähigkeit in der Natur geschult werden soll, gehören dazu.

Ein Vorkämpfer, auf den sich viele Sehtrainer berufen, ist der amerikanische Augenarzt William Bates (1860 bis 1931). Für ihn waren Brillen nur »Krücken«, die nicht die eigentliche Ursache von Sehproblemen beseitigten. Er ging davon aus, dass Verspannungen der Augenmuskulatur die wesentliche Ursache von Sehproblemen sind und entwickelte verschiedene Entspannungsübungen für Auge und Geist, um die Störungen zu beheben. Sie sind auch heute noch Kern vieler Sehtrainings-Programme.

Augenärzte sehen die Methode meist skeptisch. »Das ist in etwa so, als wollten sie ihre Schuhgröße trainieren«, sagt etwa Georg Eckert, Sprecher des Berufsverbands der Augenärzte. »Dem steht die menschliche Anatomie entgegen.« Kurzsichtigkeit (Myopie) beruht in der Regel darauf, dass der Augapfel zu lang ist. Bei Weitsichtigkeit verhält es sich umgekehrt. Und zur Altersweitsichtigkeit kommt es, weil die Linse im Lauf des Lebens weniger elastisch wird und sich dadurch schlechter an unterschiedliche Entfernungen anpassen kann. Auch Wolfgang Wesemann, ehemaliger Direktor der Höheren Fachschule für Augenoptik in Köln, hält es für ausgeschlossen, dass ein Training an diesen anatomischen Gegebenheiten etwas ändern könnte. Wesemann hat sich intensiv mit Sehtraining und Kurzsichtigkeit befasst und wissenschaftliche Untersuchungen dazu ausgewertet. Sie zeigten übereinstimmend, dass sich Myopie durch diverse Trainingsmethoden nicht verringern lässt.

Ganz so eindeutig, wie es zunächst scheint, sind die Ergebnisse allerdings nicht: Tatsächlich konnten einige Teilnehmer, die ein intensives Sehtraining absolviert hatten, danach etwas schärfer sehen. An der Brechkraft ihrer Augen, die sich objektiv messen lässt, hatte sich aber nichts geändert. Wie kann das sein? »Auch bei Kurzsichtigen, die ihre Brille weglassen und das unscharfe Sehen in Kauf nehmen, zeigt sich dieser Effekt. Sie sehen nach einiger Zeit auch ohne Brille ein klein wenig schärfer«, sagt Wesemann. »Das kann man sich so erklären, dass das Gehirn lernt, unscharfe Bilder zu verbessern.« Vergleichbar sei das in etwa mit der Bildbearbeitung bei »Photoshop«. »Es ist enorm, was das Gehirn leisten kann«, betont er. Aber selbst wenn sich die Sehschärfe dadurch etwas verbessere, reiche sie noch lange nicht aus, um im normalen Leben gut zurecht zu kommen - und zum Beispiel Auto zu fahren oder aber gefährliche Maschinen zu bedienen.

Abgesehen davon sind die Bates’schen Übungen tatsächlich sinnvoll, um sich zu entspannen - was sich günstig auf Körper, Geist und Auge auswirkt. So ist unbestritten, dass intensives Arbeiten am Bildschirm Probleme verursachen kann: »Durch den starren Blick, den man dabei entwickelt, verringert sich die Zahl der Lidschläge. Es kann dadurch zu Austrocknungserscheinungen kommen«, sagt Wesemann. Deshalb sei es wichtig, ab und zu Pause zu machen und den Blick durch den Raum schweifen zu lassen. Außerdem empfiehlt er Menschen ab etwa 50 Jahren, eine Computerbrille zu tragen, die optimal auf den Arbeitsplatz eingestellt ist. Eine Überanstrengung der Augen könne nämlich unter anderem Augen-, Kopf- und Nackenschmerzen bereiten.

Bei manchen Menschen sind derlei Entspannungsübungen so wirkungsvoll, dass sie tatsächlich besser sehen können - nämlich dann, wenn sie an einer »stressbedingten Pseudomyopie« leiden, wie Wesemann erklärt. »Diese Leute stehen unter so großem inneren Druck, dass sich die Kurzsichtigkeit verstärkt.« Die Ziliarmuskeln, an denen die Linsen angehängt sind, verkrampfen sich, so dass das Auge auf die Nähe eingestellt bleibt. »Durch Sehtraining oder Entspannungsübungen kann sich der stressbedingte Tonus vermindern«, erklärt der Experte. »Es hat dann den Anschein, als ob sich die Myopie vermindert hätte. In Wirklichkeit hat sich aber nur der Akkomodationstonus normalisiert.«

Die Barmer GEK, eine der größten gesetzlichen Krankenkassen, bietet ein ganzheitliches Online-Sehtraining an, das unter anderem Bates'sche Entspannungsübungen vorsieht. Das Angebot richtet sich an Menschen, die viel am Bildschirm arbeiten. »Von den Nutzern bekommen wir die Rückmeldung, dass sie sich in Bezug auf ihre Augen besser und entspannter fühlen, seitdem sie das Sehtraining nutzen«, berichtet Pressesprecher Axel Wunsch. Auch wenn man sich also nicht die Brille »wegtrainineren« kann, so können Augenübungen offenbar ein sinnvoller Beitrag zu Entspannung und Wohlbefinden sein - und auch das spielt beim Sehen eine große Rolle.

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