Männergrippe und Vorsorgemuffel

Nicht alle Klischees zum Thema Männergesundheit halten dem Faktencheck stand

  • Angela Stoll
  • Lesedauer: 5 Min.
Gleicht der männliche Körper einer Maschine, die nur bei einem Totalausfall repariert werden muss? Mitnichten.
Gleicht der männliche Körper einer Maschine, die nur bei einem Totalausfall repariert werden muss? Mitnichten.

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Männer jammern stärker, wenn sie erkältet sind

Das lässt sich nicht verallgemeinern. Spott über den sogenannten Männerschnupfen ist zudem unangebracht: »Manche Infektionskrankheiten verlaufen bei Männern schwerer«, sagt die Immunologin Martina Prelog von der Universitätsklinik Würzburg. Dazu gehören etwa Covid-19, Tuberkulose, Hepatitis B und banale Atemwegserkrankungen. Grund dafür ist, dass Männer insgesamt ein schwächeres Immunsystem haben als Frauen. Das weibliche Sexualhormon Östrogen sorgt laut Prelog nämlich für eine aktivere körpereigene Abwehr, während das männliche Testosteron diese tendenziell hemmt. Außerdem profitieren Frauen wahrscheinlich davon, dass sie ein zweites X-Chromosom haben. »Gerade auf dem X-Chromosom befinden sich viele Gene für Faktoren, die für das Immunsystem wichtig sind«, erklärt Prelog. Anders als früher geht man heute davon aus, dass das zweite X-Chromosom bei Frauen nicht komplett stillgelegt ist, sondern teilweise aktiv mitmischt. Insofern sind Männer gleich in doppelter Hinsicht benachteiligt. Dafür treffen sie Autoimmunerkrankungen seltener als Frauen. »Da das Immunsystem von Frauen stärker reagiert, kann es sich auch mal verirren und sich gegen das eigene Körpergewebe richten. Frauen haben deshalb zum Beispiel auch öfter Rheumatoide Arthritis, eine Hashimoto-Schilddrüsenentzündung oder andere Autoimmunerkrankungen. Das ist die Kehrseite der Medaille«, sagt die Expertin.

Männer sind schmerzempfindlicher
als Frauen

Im Volksmund heißt es, die Menschheit wäre längst ausgestorben, wenn Männer Kinder bekommen würden – denn landläufig wird ihnen gerne Wehleidigkeit unterstellt. Dabei handelt es sich um einen Mythos: »Frauen haben häufiger und intensiver Schmerzen als Männer«, sagt Anne Maria Möller-Leimkühler, Professorin für sozialwissenschaftliche Psychiatrie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. So leiden Frauen nicht nur öfter an Migräne, Gelenk- und Rückenschmerzen. In Studien hat sich gezeigt, dass Frauen auch eine höhere Schmerzempfindlichkeit und eine niedrigere Schmerzschwelle haben. Nach Angaben der Deutschen Schmerzgesellschaft spielen dabei bestimmte Gene sowie die weiblichen Sexualhormone Östrogen und Progesteron eine Rolle. Migräne etwa tritt vorwiegend bei Frauen im gebärfähigen Alter auf – allerdings schützen hormonelle Veränderungen in der Schwangerschaft Frauen auch vor Schmerzen. Das macht deutlich, wie kompliziert die Zusammenhänge sind. Abgesehen davon sprechen Frauen tendenziell eher über Schmerzen als Männer. Früher zielte die Erziehung darauf ab, dass Männer ihre Schmerzen unterdrücken – ganz nach dem Motto »ein Indianer kennt keinen Schmerz«.

Der Körper ist so eine Art Leistungsmaschine, die nur repariert werden muss, wenn sie nicht mehr funktioniert.

Männer-Idee von Vorsorge

Männer gehen seltener zum Arzt

Stimmt. »Gerade bei der Krebsfrüherkennung liegt noch einiges im Argen«, sagt Möller-Leimkühler. Nach Zahlen des Barmer-Instituts für Gesundheitssystemforschung gehen Männer seltener zu Vorsorgeuntersuchungen als Frauen. Ein Beispiel ist das Hautkrebs-Screening: Im Jahr 2023 nahmen rund 9,5 Prozent der Frauen, aber nur 7,5 Prozent der Männer die Untersuchung in Anspruch. Auch den Gesundheits-Check-up nehmen mehr Frauen wahr: 2023 waren es laut Barmer rund 15,2 Prozent, bei den Männern 13,4 Prozent. Der Grund dafür, dass einige Männer Vorsorgemuffel sind, liegt eventuell in der Einstellung zum Körper: »Er ist so eine Art Leistungsmaschine, die nur repariert werden muss, wenn sie nicht mehr funktioniert. Und das kann dann natürlich schon zu spät sein«, sagt Möller-Leimkühler. Auch insgesamt gehen Männer seltener zum Arzt. Nach Zahlen der Kaufmännischen Krankenkasse kontaktierten 2021 rund 87 Prozent der männlichen Versicherten, aber gut 94 Prozent der Frauen einen Arzt beziehungsweise eine Ärztin.

Männer haben häufiger Herz-Kreislauf-Erkrankungen

Das ist zwar richtig, doch Frauen sterben häufiger an ihnen. Besonders oft kommen Männer wegen ischämischer Herzkrankheiten, die durch eine Verkalkung der Herzkranzgefäße gekennzeichnet sind, ins Krankenhaus. Laut dem »Deutschen Herzbericht Update 2024« waren es bei ihnen 841,5 Fälle pro 100 000 Einwohner, bei Frauen dagegen nur 313 pro 100 000 Einwohnerinnen. Auch bei akuten Herzinfarkten war die Hospitalisierungsrate bei Männern mehr als doppelt so hoch (294 gegenüber 111 bei Frauen). Insgesamt sterben aber mehr Frauen als Männer an Herz-Kreislauf-Erkrankungen: Laut Statistischem Bundesamt waren es 2023 rund 184 000 Frauen gegenüber 164 000 Männern – eine Entwicklung, die schon seit Jahren zu beobachten ist. Hintergrund ist laut Deutscher Gesellschaft für Kardiologie, dass die Krankheitsverläufe und -ursachen bei Frauen noch zu wenig bekannt sind und Medikamente häufig anders wirken als bei Männern. Abgesehen davon dürfte auch eine Rolle spielen, dass Frauen bis zur Menopause durch Östrogen vor Gefäßablagerungen geschützt sind. Daher sind sie älter, wenn sie einen Herzinfarkt erleiden und haben meist eine schlechtere Prognose.

Männer sind seltener depressiv

Das kann man so nicht sagen. Zwar ist es richtig, dass Männern die Diagnose wesentlich seltener gestellt wird – nämlich nur halb so oft wie Frauen. Doch ist Anne Maria Möller-Leimkühler davon überzeugt, dass die Krankheit bei Männern oft nicht erkannt wird. Dafür gibt es eine ganze Reihe von Gründen: »Zum Beispiel können sich Depressionen bei Männern anders äußern«, sagt die Professorin, die das Thema gründlich erforscht hat. So komme es öfters vor, dass Männer innere Spannungen durch »Action« kompensieren. »Sie werden aggressiv, reizbar, stürzen sich in die Arbeit, in den Sport oder Alkohol«, sagt sie. »Diese externalisierenden Verhaltensweisen werden nicht primär mit Depressionen in Verbindung gebracht.« Dadurch, dass Männer bei Befragungen seltener »klassische« Symptome wie Antriebslosigkeit und Passivität angeben, fallen sie durch das Raster. »Studien haben außerdem gezeigt: Selbst wenn Männer die gleichen Symptome angeben wie Frauen, bekommen sie signifikant seltener eine Depressionsdiagnose. Auch in den Köpfen von Ärzten gibt es also noch Stereotype.« Eine gute Nachricht gibt es allerdings: Männer sind laut Möller-Leimkühler mittlerweile aufgeschlossener gegenüber Psychotherapien.

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