Lernen über den Tag

Bildungsrauschen

  • Lena Tietgen
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Hirnforscher Gerhard Roth hat nach eigener Aussage bis 2013 gut zehn Jahre den Unterricht an verschiedenen Schulen begleitet und stellt fest, dass »bestimmte Grundfehler« nach wie vor gemacht werden. Dazu gehören neben fehlender Zusammenarbeit vor allem der 45-Minuten-Takt und mit ihm die überbordende Menge an Lernstoff.

In einem Gespräch mit ganztägig-lernen.de erläutert er, wie Lernen funktioniert und was es braucht. Beim Lernprozess wirkten sowohl das Arbeits- wie das Langzeitgedächtnis, wobei das Arbeitsgedächtnis der Teil ist, der zuerst angesprochen werde. Nun sei dieses »nicht sehr belastbar« und auch »sehr stressanfällig«, weshalb Pausen wichtig seien und Wiederholungen des Stoffes notwendig werden. Zudem brauche es »unterschiedliche Lernzugänge und Lernen durch selbstständiges Handeln«. Das Geheimnis erfolgreichen Lernens bestehe darin, den im Arbeitsgedächtnis gesammelten Stoff im Langzeitgedächtnis abzulagern. Roth misst Erfolg an der Fähigkeit, selbstständig und lebenslang lernen zu können und an der Möglichkeit, das Gelernte langfristig zu gebrauchen. Dies sei eben Aufgabe des Langzeitgedächtnisses. Um das zu erreichen, müsse berücksichtigt werden, dass das Arbeitsgedächtnis wie ein »kognitiver und emotionaler Flaschenhals« wirke, bei dem es schnell zu einem »Stau« komme. Hilfreich sei deswegen eine dezidierte Didaktik, die sich am wenigen und langsamen Lernen orientiere. Eine tragfähige Beziehung, positive Feedbackprozesse, Motivation, Anschlussfähigkeit des Stoffes, Fleiß und Wiederholung seien die Grundlage guten Lernens. Nur dass dies in einem 45-Minuten-Unterricht kaum bis gar keinen Platz finde. Ebenso wenig wie die Hinführung zum eigenständigen Lernen, in denen sich intensive Phasen mit denen der Ruhe abwechseln.

Roth hat beobachtet, wie die schrittweise Selbstständigkeit zu einer Intensivierung und so zum allgemeinen Lernerfolg führt. »Also es ist ein langer Weg von der reinen In᠆struktion zur Selbstkonstruktion, und er muss gemacht werden und das kann man nur in der Ganztagsschule«, lautet seine Quintessenz. Hier hinke Deutschland hinterher.

Ein Vergleich gibt ihm Recht. So basiert das kanadische Bildungssystem, das mit seinen »höchsten pro Kopf-Ausgaben für Erziehung und Bildung innerhalb der G8-Staaten« und dem »international anerkannten High School Abschluss« neben dem finnischen zu den Bildungsgewinnern zählt, auf der Ganztagsschule. (isec-canada.com) In Europa existieren Ganztagsschulen unter anderem in Skandinavien und Frankreich, wo sie seit Jahrzehnten zum festen Bestandteil der französischen Kultur gehören. (bpb.de) Aber auch in China oder Thailand arbeitet man mit Ganztagsschulen. Und die Liste ließe sich verlängern. Auch wenn Bedarf, Hintergründe und Ausgestaltung von Ganztagsschulen je Bundesland verschieden sind, bleibt ihnen gemeinsam, dass Kinder sich über einen längeren Zeitraum im Lern- und Sozialmodus bewegen. Das sollte nicht unterschätzt werden. Lena Tietgen

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