Jubiläum ohne Jubel
Mecklenburg-Vorpommern: Viele Rostocker meiden privat finanzierten Warnowtunnel weiter
Am Rostocker Warnowtunnel wird am Dienstag das 50-millionste Fahrzeug erwartet. Eine stolze Zahl, nur: Nach den ersten Planungen in den 1990er Jahren war dieses Jubiläum etwa für 2009 vorgesehen, also sechs Jahre nach der Eröffnung. Die großen Erwartungen mit täglich bis zu 25 000 Autofahrern haben sich nicht erfüllt, noch heute sind es weniger als die Hälfte. Trotzdem ist Deutschlands erstes privat finanziertes Straßenbauprojekt heute in ruhigem Fahrwasser. Der 790 Meter lange Tunnel verbindet zwei Stadtteile auf direktem Wege, der Weg durch die hochfrequentierten Straßen der Stadtmitte entfällt.
Warum man damals so sehr danebenlag, kann heute keiner mehr nachvollziehen, sagt die Geschäftsführerin der Warnowquerung GmbH & Co. KG, Yvonne Osterkamp. Der schmucke Tunnel, einer der sichersten Europas, hat schlimme Jahre hinter sich. Heute, im Jahr 14 nach Eröffnung, geht es im Verwaltungsgebäude deutlich entspannter zu als etwa 2005/6, als die Gesellschaft kurz vor der Insolvenz stand. Die Planer rechneten Mitte der 1990er Jahre mit täglich rund 25 000 Autos. Die damalige Zuversicht hatten auch die Banken und sorgten für die notwendige Finanzierung. Mit der Stadt als Bauträger wurde eine Konzessionszeit von 30 Jahren vereinbart. Das Erschrecken war groß, als nur spärlich Autos durch den Tunnel fuhren. Rund 5500 täglich waren es im ersten Jahr. Die Insolvenz wurde nur dadurch vermieden, dass die Konzession auf 50 Jahre verlängert wurde.
220 Millionen wurden damals investiert. Nur von der EU kamen rund 18 Millionen Euro. Die Refinanzierung sollten die Autofahrer mit der Maut alleine übernehmen. Es ist ein in dieser Größenordnung heute noch einmaliges Projekt. Beim vergleichbaren Herrentunnel in Lübeck hat der Bund 90 Millionen Euro beigesteuert.
Hintergrund war das »Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetz« von 1994. Bis dahin war es völlig undenkbar, dass sich private Firmen am öffentlichen Straßenbau beteiligen. Ein französisches Konsortium um den Baukonzern Bouygues ergriff die Chance - möglicherweise mit den positiven Erfahrungen aus der Finanzierung der französischen Autobahnen - und nahm das Millionenprojekt in Angriff. Bundesverkehrsminister Manfred Stolpe (SPD) hob damals die bundesweite Bedeutung des Mautprojektes hervor. Die Bundesregierung habe großes Interesse daran, dass es funktioniert, sagte er 2004. Zum aktuellen Stand wollte sich das Bundesverkehrsministerium unter Hinweis auf die Zuständigkeit der Stadt Rostock nicht äußern. Ziel war es damals wie heute, den Rostockern eine schnelle Verbindung zu bieten, sagt der technische Geschäftsführer Olaf Wiechmann. Wer heute die Chance habe, täglich bis zu einer Stunde Zeit für sich oder seine Familie einzusparen, der nimmt den Tunnel und fährt nicht durch die Stadt. Diese Botschaft habe es aber schwer, vernommen zu werden.
Rostocks Verkehrssenator Holger Matthäus (Grüne) sieht in dem Tunnel eine Erfolgsgeschichte, mit dem Vorteil, dass die Stadtkasse nicht belastet wird. »Jede Tunneldurchfahrt ist ein aktiver Beitrag zum Umweltschutz.« Die Akzeptanz könnte sicher noch steigen, wenn auf die Maut gänzlich verzichtet beziehungsweise der Bund die Kosten analog zu den Autobahnen und Bundesfernstraßen regulieren würde.
Das kann Osterkamp nicht gelten lassen. »Wenn die Hansestadt das möchte oder gewollt hätte, hätte die öffentliche Hand den Tunnel selbst bauen sollen. Die Alternative zur Warnowquerung mit Maut wäre schlicht keine Querung gewesen.« Jedenfalls kann von Geldverdienen bei Bouygues und der australischen Bank Macquarie Infrastructure keine Rede sein. »Wir reduzieren von Jahr zu Jahr die Verluste«, erklärt Osterkamp. 2016 wurde ein Minus von 1,5 Millionen Euro erwirtschaftet, 2015 waren es noch 1,8 Millionen. 11 537 Autos passierten 2016 täglich im Durchschnitt die Mautstellen, ein Plus von 1,6 Prozent zu 2015. Das Geldverdienen ist laut Osterkamp nun auf die Zeit nach 2047 bis 2053 verschoben. Dann sind die Kredite abbezahlt. dpa/nd
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