Versäumnis oder Absicht?

Endlich hat auch Freiburg die erste, umfassende Ausstellung zu seiner Geschichte in der NS-Zeit

  • Dirk Farke
  • Lesedauer: 4 Min.

Ich fürchte mich nicht vor der Rückkehr der Faschisten in der Maske der Faschisten, sondern vor der Rückkehr der Faschisten in der Maske der Demokraten.« Dieser Ausspruch von Theodor W. Adorno scheint heute leider wieder an Aktualität gewonnen zu haben. Umso wichtiger ist die stetige Erinnerung und Auseinandersetzung mit den blutigen Jahren der Hitlerdiktatur in Deutschland.

Darstellungen der Zeit zwischen 1933 und 1945 sind in deutschen Städten mittlerweile zahlreich. Die Fragen, wer die Täter waren, wie die Nazis an die Schalthebel der Macht gelangen konnten, was das Wesen ihrer Ideologie und Herrschaftspraxis war, was »Führer«-Kult und »Volksgemeinschaft« bedeuteten etc., muss mit jeder Generation neu erinnert und debattiert werden. Aufklärung ist gerade in ökonomisch prekären Zeiten wichtig, in denen Neid, Missgunst und Angst vor sozialem Abstieg und allem vermeintlich Fremden breite Gesellschaftsschichten erfasst und Populisten sich zu Wortführern in der Politik aufschwingen.

Über sieben Jahrzehnte nach der militärischen Zerschlagung des Nazireiches und nach drei Jahren Vorbereitungszeit widmet sich nun auch Freiburg im Breisgau seiner Geschichte unterm Hakenkreuz. Neben vielen Gemeinsamkeiten zu anderen Regionen und Städten, so hinsichtlich der Ablehnung der Weimarer Republik, der mehrheitlichen Sympathien für die Nazis sowie die rasche Umsetzung von deren ersten antidemokratischen und antisemitischen Gesetzen schon 1933 (Berufsbeamtentum, Gleichschaltung u.a.), weist die Stadt in Baden-Württemberg Besonderheiten auf. Dazu gehören in erster Linie die starke Stellung der katholischen Kirche und die dominierende Rolle ihrer 500-jährigen Universität.

Erzbischof Conrad Gröber, seit 1932 im Amt, glühender Nationalist und Erzfeind jedweder »bolschewistischer Tendenzen«, schwor seine Schäfchen frühzeitig auf eine vorbehaltlose Unterstützung des NS-Staates ein. Der »braune Conrad«, so der Volksmund, tat sich selbst bei der Verfolgung katholischer Geistlicher hervor, plädierte für rigides Vorgehen auch innerhalb der deutschen Bischofskonferenz.

Auch die Gleichschaltung der Albert-Ludwigs-Universität funktionierte im NS-Sinne mustergültig. Standen die Studierenden hier bereits seit 1931 »in Treue fest zum Führer«, erhob der erste Universitätsrektor unter den neuen Machthabern, der Philosoph Martin Heidegger, die alt ehrwürdige Alma mater in den Rang einer Musteruniversität. Sämtliche althergebrachten Prinzipien akademischer Selbstverwaltung ignorierend, etablierte er ab August 1933 mit einer von ihm entworfenen neuen Verfassung das »Führerprinzip« als bindend auch für akademische Lehranstalten.

Die Unterwerfung der Geistlichen und der Gelehrten sind in der Ausstellung besonders ausführlich thematisiert und im informativen Begleitbuch faktenmäßig weiter vertieft. In der Exposition werden mehr als 250 Objekte gezeigt, von Zeitungsartikeln über Fotografien, Briefe und Zeichnungen bis hin zu ausdrucksstarken Gegenständen.

Die Ausstellung erhebt explizit den Anspruch der Personalisierung von historischem Geschehen. Umso unverständlicher ist, dass hier - sowohl in der Ausstellung wie auch im Begleitbuch - einer der skrupellosesten, brutalsten Massenmörder des Regimes, der 1940 bis 1944 mit seiner Familie in einer Beletage in der Freiburger Sonnhalde 81 lebte, ignoriert wird. Gemeint ist der in der weiten Welt berühmt-berüchtigte KZ-Arzt Josef Mengele, der nach 1945 zwar als NS-Kriegsverbrecher gesucht wurde, aber unbehelligt 1979 in Brasilien starb, offenbar bei einem Badeunfall ertrunken.

Ist das Fehlen dieser Personalie Versehen oder Absicht? Die beiden Kuratoren der Ausstellung, der Historiker Robert Neisen und der Kunsthistoriker Peter Kalchtaler, standen einer Anfrage von »nd« zu den Gründen hierfür nicht zur Verfügung. Statt dessen erhielt der Autor dieser Zeilen eine Pressemitteilung mit dem lapidaren Satz, es sei zu Gunsten von Waldemar Hofen, KZ-Arzt in Buchenwald, und Eugen Fischer, ein an der Universität Freiburg lehrender Rassenhygieniker, bewusst auf die Erwähnung von Mengele verzichtet worden. Die beiden genannten Verbrecher kannte Neisen selbst vor der Erarbeitung der Ausstellung nicht, wie er in einem Interview mit der »Badischen Zeitung« im Sommer vergangenen Jahres einräumte.

Der aufmerksame Besucher wird Bezüge zum Ersten Weltkrieg finden. Jedoch wird auch hier wieder das »Trauma des verlorenen Krieges« als Erklärung für den Aufstieg und die Machtübernahme der Nazis herangezogen. Als hätte es keine »Kritischen Theorie« gegeben. Doch nicht nur Theodor W. Adorno und Max Horkheimer verwiesen immer wieder auf das Primat der Ökonomie und das Interesse und Bemühen des deutschen Kapitals, Hitler auf den Stuhl des Reichskanzlers zu setzen.

Vor allem für die jüngere Generation ist die Aufzeigung von Kontinuitäten informativer, als selektives, häppchenweise verabreichtes Geschichtswissen. Das betrifft auch unselige Kontinuitäten nach 1945. Im Begleitbuch wird der aus Freiburg stammende Reichskanzler Josef Wirth (Zentrum) zitiert. Nach der Ermordung seines Außenministers Walther Rathenau durch Angehörige der rechtsextremen Organisation Consul warnte dieser am 27. Juni 1922 im Reichstag mit Blick zur Fraktion der Rechten: »Da steht der Feind, der sein Gift in die Wunden eines Volkes träufelt. Da steht der Feind - und darüber ist kein Zweifel: dieser Feind steht rechts!« In der Bundesrepublik wurde Wirth wegen seiner Kontakte in die DDR die Auszahlung seiner Rentenbezüge als Reichskanzler verweigert. Er starb verarmt und enttäuscht 1956.

Nationalsozialismus in Freiburg. Augustiner Museum, bis 7. Oktober (Katalog 24,80 €).

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