Schwarz-weiße Verdachtsmomente
Polizeiforscher: Bei Ermittlungen gibt es Rassismus - manchmal auch ungewollt
Sandyha Kambhambati wurde schon 23 Mal polizeilich kontrolliert, seit die US-amerikanische Journalistin vor neun Monaten mit einem Stipendium nach Berlin kam. Beim Joggen im Park, »während ich mit einer Gruppe weißer Freunde herumstehe«, wird sie von Polizisten herausgepickt: Ausweiskontrolle. »Warum ich?« fragt sie jetzt in einem Online-Beitrag.
23 Kontrollen überzeugen die Tochter indischer Eltern: Es ist ihre Hautfarbe. Die Journalistin ärgert diese Wahrnehmung als Verdächtige, sie recherchiert über Racial Profiling bei der deutschen Polizei. »Gibt es nicht, weil es illegal ist«, wird ihr mitgeteilt. Ihr Fazit ist jedoch: »Ich habe es anders erlebt. Und ich bin nicht die einzige.«
Racial Profiling - Fahndung allein aufgrund des Äußeren - ist diskriminierend und deshalb verboten, entschieden Gerichte. Es muss für Polizeimaßnahmen andere Erkenntnisse geben: Verhalten, eine Gefahrensituation. Kontrollen ohne konkreten Verdacht sind zur Verhinderung illegaler Einwanderung und an als gefährlich eingestuften Orten rechtmäßig.
»Das bietet natürlich einen Nährboden für Ungleichbehandlung«, sagt Soziologe Rafael Behr von der Akademie der Polizei Hamburg. Und könne zu »sich selbst bestätigender Verdachtsschöpfung« führen: »Eine Gruppe, die schon einmal erfolgreich kontrolliert wurde, wird verstärkt kontrolliert - und schon der Hinweis, dass es einen Eintrag in der Datenbank gab, bestätigt den Erfolg der erneuten Kontrolle.« Das bestärke Vorurteile.
Kontrollen - und damit Verdacht - erleben Menschen mit dunkler Haut immer wieder, sagt Tahir Della von der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland (ISD). »Natürlich gibt es hier Racial Profiling, viele Bürger erleben es ja.« Anlasslose Kontrollen nehmen nach der Einschätzung von ISD zu, »Statistiken dazu werden ja leider nicht geführt.« Die ISD fordert Änderungen im Polizeigesetz und unabhängige Beschwerde- und Dokumentationsstellen: Warum wurde kontrolliert? Was ist dabei herausgekommen? »Sich damit kritisch auseinanderzusetzen, würde Polizeiarbeit schon verändern«, glaubt Della.
Auch Polizeiausbilder Behr sieht den Beruf anfällig für Diskriminierung. »Offener Rassismus ist aber nicht institutionell gestützt.« Der Blick auf Menschen könne sich im Beruf verengen. Wer ständig Erfahrungen mit problematischen Personen macht - in bestimmten Vierteln mit Migranten, Süchtigen oder ärmeren Menschen - laufe Gefahr, Menschen pauschal nach ethnischen oder sozialen Merkmalen Taten zuzuordnen. Das wirke diskriminierend - auch wenn das nicht das Ziel war. »Welche Fehler dann geschehen können, zeigen die NSU-Morde, bei denen sich alle Ermittler auf Migranten als Täter festlegten und die Rechtsextremisten übersahen.« Racial Profiling finde im Alltag statt, ist Behr überzeugt.
In der Ausbildung werde diese selektive Wahrnehmung thematisiert, im Berufsalltag dann viel zu wenig, sagt Daniela Hunold von der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster. Die Kriminologin hörte bei ihrer Forschung über Polizeiarbeit in multiethnischen Städten Beamte Delikte häufig ethnisch zuordnen - vor allem im Gespräch untereinander. »Im Umgang mit den Bürgern war das aber weitestgehend unsichtbar.« Und: Je besser die Beamten die Bewohner eines Viertels kannten, desto differenzierter handelten sie. Aber: Im Alltag müssten Polizisten Menschen in Kategorien wie »gefährlich-ungefährlich« und »verdächtig-unverdächtig« sortieren - oft unter Zeitdruck. Und gleichzeitig nicht diskriminieren. »Das ist schwierig, deshalb ist eine Fehlerkultur bei der Polizei enorm wichtig.«
Dass sie fehlt, werde beim Umgang mit dem Thema Racial Profiling deutlich. Kritik werde schnell zurückgewiesen, es gebe auch kaum Forschung und Daten. Entsprechend wenig werde an Mechanismen im Arbeitsablauf gearbeitet, die Diskriminierung vorbeugen. »Die Polizei muss selbstkritisch mit dem Thema umgehen«, fordert auch der Soziologe Behr. epd/nd
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