Mediale Schweigsamkeit
Bildungsrauschen
Während 2012 noch viele Medien hierzulande über Spaniens Bildungsproteste berichteten, ist die Rücknahme des umstrittenen «Gesetzes zur Verbesserung der Qualität im Bildungswesen» (LOMCE) offensichtlich kaum eine Silbe Wert. Dabei war der Druck der Straße auch 2016 noch von relevanter Größe. Nicht nur, dass ein Großteil der Schüler und Studierenden auf die Straße ging, sie wurden auch von der «Konföderation der Elternverbände (CEAPA), von zahlreichen Lehrergewerkschaften und den großen Gewerkschaftsdachverbänden CCOO und UGT unterstützt.
Es will wohl nicht so ins neoliberale Licht passen, dass LOMCE seit Beginn in Kritik stand. Ausführlichere Informationen erhält man eher über die spanische Presse, etwa vom deutschsprachigen wochenblatt.es, einer Zeitung der kanarischen Inseln. Laut dstenerife.eu hatten Katalonien, Andalusien und Asturien 2014 Verfassungsbeschwerde eingelegt. Auch das kanarische Bildungsministerium hatte das Gesetz nicht umsetzen wollen und gab vorerst »keine neuen Lehrpläne für Grundschulen« heraus. Man empfahl den Schulen, ihre »alten Lehrbücher zu behalten«, derweil das Ministerium Einspruch beim Verfassungsgericht einreichte.
Auf mallorcazeitung.es konnte man vor gut einem Jahr ein Interview mit dem am IES Mossèn Alcover in Manacor (Mallorca) unterrichtenden Deutschlehrer Hartmut Botsmann lesen. Anlass war die Urabstimmung an öffentlichen Schulen über die Rücknahme des Aufrufs zum unbefristeten Streik von September 2013. Die Einstellung des Streiks sei »kein Einverständnis mit der gegenwärtigen Bildungspolitik und der Situation unseres Berufsstandes«, so Botsmann, sondern eine »neue Etappe der Auseinandersetzung«. In ihr gehe es vor allem um die »Lösung der Probleme überfüllter Klassenräume oder fehlender Lehrkräfte«. Aber auch darum, dass »Fächer neu strukturiert, zusammengestrichen und demokratische Organe wie der Schulrat ihrer Kompetenzen beraubt« werden. Ebenso sei der Wechsel von der Grundschule zur Sekundarstufe I sehr hart. Während die Lehrkräfte in der Grundschule nach modernen Methoden arbeiteten, werde später im Frontalunterricht »möglichst viel Stoff in möglichst wenig Zeit« durchgepeitscht. Außerdem werde die katalanische Sprache zurückgedrängt.
Womöglich schwelt der Konflikt trotz »Staatspakt zur Erziehung« weiter und hiesige Medien werden erst dann wieder berichten, wenn es zu nennenswerten Auseinandersetzungen kommt. Diese Kurzsichtigkeit ist Ausdruck des Mangels an einem europäischen Gedanken. Noch wird keine gemeinsame Betroffenheit medial herausgearbeitet, obgleich es viele gute Ideen gibt, wie z.B. die eines europäischen Gesellschaftsvertrags, die der Soziologe Ulrich Beck 2014 in »Europa braucht einen neuen Traum« entwickelte. (bpb.de) Lena Tietgen
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