Auferstehung aus dem Eis
Vor 50 Jahren ließ sich erstmals ein Mensch nach dem Tod einfrieren. Das geschah in der Hoffnung, dereinst zu neuem Leben erweckt zu werden
James Bedford war ein US-amerikanischer Psychologe, der Anfang 1967 im Alter von 73 Jahren an unheilbarem Nierenkrebs starb. Seinem Wunsch gemäß wurde sein Körper kurz darauf eingefroren, genauer gesagt kryokonserviert. Drei Mitglieder der »Cryonics Society« in Kalifornien ersetzten dabei das Blut des Toten nach und nach durch ein Frostschutzmittel, um so die Bildung von gewebeschädigenden Eiskristallen zu verhindern. Zunächst wurde Bedfords Leichnam mit Trockeneis auf minus 79 Grad Celsius abgekühlt. Seine Endlagerung erfolgte in einem Tank mit flüssigem Stickstoff bei einer Temperatur von minus 196 Grad. In einer Pressemitteilung der »Cryonics Society« hieß es dazu: »Bedford wird auf unbestimmte Zeit eingefroren bleiben, bis es der medizinischen Wissenschaft möglich ist, Krebs und jegliche Frostschäden, die aufgetreten sein könnten, zu heilen. Und vielleicht auch das Altern.«
Von alldem sind wir heute noch weit entfernt. Würde man Bedford jetzt auftauen, hätte dies den finalen Zerfall seines Körpers zur Folge. Dennoch machte sein Beispiel in den letzten Jahrzehnten Schule. 2002 beschloss der Sohn der US-Baseballlegende Ted Williams, seinen an Herztod verstorbenen Vater tiefkühlen zu lassen, um bei späterer Gelegenheit dessen Gene verkaufen zu können. Auch die Popsängerin Britney Spears ist angeblich interessiert an einer Kryokonservierung nach dem Tod. Gegenwärtig lagern in den USA über 250 Menschen in »Stickstoffsärgen«, in Russland sind es einige Dutzend. Allerdings werden nicht immer ganze Körper eingefroren, manche Menschen vertrauen der künftigen Wissenschaft nur ihren Kopf oder ihr Gehirn an. Den dazugehörigen Leib wollen sie nach dem Auftauen klonen lassen. Je nach Anbieter kostet die vollständige Kryokonservierung des Körpers zwischen 27 000 und 150 000 Euro, für ein Gehirn sind 7000 bis 60 000 Euro zu zahlen.
Das Einfrieren von Organismen zum Zwecke der »Wiederbelebung« nennt man kurz Kryonik. Als deren Begründer gilt der US-Amerikaner Robert Ettinger, der seit 2011 ebenfalls im ewigen Eis ruht. Schon als Jugendlicher war er fasziniert von Science-Fiction-Geschichten, in denen verstorbene Menschen bei tiefen Temperaturen so lange aufbewahrt wurden, bis ihnen die Wissenschaft zu einem Neustart ins Leben verhalf. 1962 erschien sein Bestseller »The Prospect of Immortality« (Die Aussicht auf Unsterblichkeit), 1976 gründete er das weltweit erste Kry᠆onikinstitut in Detroit. »Die Tiefkühltruhe ist allemal attraktiver als das Grab«, erklärte Ettinger. Denn der Begrabene sei unwiderruflich tot, Tiefgekühlte hingegen könnten eventuell »den Wein kommender Jahrhunderte trinken«.
Das klingt in der Tat verlockend. Doch was sagt die Wissenschaft dazu? Schon heute können Objekte, die kleiner sind als ein Millimeter, problemlos eingefroren und wieder aufgetaut werden, zum Beispiel Spermien oder Eizellen. Bei größeren Organen funktioniert das nicht. Gefrierbrüche im Gewebe wären unter anderem die Folge. Dass ein Einfrieren von Organen aber zumindest kurzfristig möglich ist, zeigte 2009 der US-Biologe Gregory M. Fahy. Er implantierte einem Kaninchen Nieren, die zuvor für einige Minuten kryokonserviert und dann wieder aufgetaut worden waren. Das Tier überlebte den Eingriff.
Hoffnung macht Kryonikern auch der Fall der schwedischen Ärztin Anna Bågenholm, die 1999 bei einem Skiunfall in einen eisigen Fluss stürzte und dabei unter die Eisdecke geriet. Erst nach rund 80 Minuten wurde sie von einem Rettungsteam geborgen. Herzschlag und Gehirnaktivität hatten da bereits ausgesetzt, ihre Körpertemperatur war unter 14 Grad gesunken. Bei der folgenden Reanimation wurde Bågenholms Blut über einen Bypass aus dem Körper geleitet, erwärmt, mit Sauerstoff angereichert und wieder zurückgeführt. Die Prozedur gelang. Anna Bågenholm kam wieder zu Bewusstsein und erholte sich nahezu vollständig. Als erster Mensch überlebte sie ein Abfallen der Körpertemperatur auf 13,7 Grad. Das lag vor allem daran, meinen Wissenschaftler, dass sich das Gehirn der Ärztin bei noch funktionierendem Kreislauf sehr schnell abgekühlt hatte und so in einem fast unbeschädigten Zustand konserviert wurde.
Entscheidend für einen möglichen Erfolg der Kryonik ist die sogenannte Vitrifikation (von lateinisch vitrum = Glas). Hierbei werden die körpereigenen Flüssigkeiten des Toten durch Lösungen ersetzt, die keine Kristalle bilden, sondern bei tiefen Temperaturen aus dem flüssigen in einen glasartigen Zustand übergehen. Seit Einführung dieser Methode ist mittlerweile die sechste Generation von Vitrifikationslösungen im Einsatz: Gemische aus Ethylenglykol, Formamid und Dimethylsulfoxid. Da ein Mensch jedoch Gewebe mit unterschiedlicher Dichte und Wärmeleitung besitzt, wäre theoretisch für jeden Zelltyp eine eigene Schutzlösung vonnöten. Praktisch ist das natürlich nicht machbar. Daher konzentrieren sich Kryoniker heute auf die Erhaltung des Gehirns. Aber auch hier weiß bisher niemand, welche langfristigen Folgen das Tiefkühlen für das Neuronensystem hat, zumal die verwendeten Vitrifikationslösungen toxisch wirken. Nicht minder problematisch ist der Prozess des Auftauens. »Man bräuchte eine Technik, mit der man sehr schnell erwärmen kann, sodass keine Eiskristalle entstehen und die toxischen Substanzen bei Erhöhung der Temperatur nicht zu lange einwirken. Das bekommen wir im Moment noch nicht hin«, sagt Klaus Sames, ehemaliger Anatomieprofessor und Ehrenvorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Angewandte Biostase (DGAB). Dennoch ist er bereit, seinen Körper nach dem Tod kryokonservieren zu lassen. »Ich hoffe, dass ich dann irgendwann aufwache und Antworten auf all meine Fragen bekomme.«
Was der Kryonik derzeit entgegen steht, sind aber nicht nur technische Schwierigkeiten. Viele Wissenschaftler halten das ganze Konzept für verfehlt, sehen darin nichts als Science-Fiction. »Wer glaubt, dass man tiefgefrorene Menschen irgendwann wiederbeleben kann, der muss auch glauben, dass man aus einer Frikadelle wieder eine Kuh machen kann«, sagt etwa der Hamburger Transfusionsmediziner Andreas Sputtek. Zu bedenken bleibt allerdings, dass Wissenschaftler schon so manches für technisch unmöglich erklärt hatten, was dann doch realisiert wurde, zum Beispiel die Transplantation eines ganzen Herzens.
In Deutschland ist die Kryonik als Bestattungsart bisher nicht zugelassen. Hat ein Arzt den Totenschein ausgestellt, dürfen zwar eigens dafür ausgebildete Personen eine Kryokonservierung einleiten, zum Beispiel um gespendete Organe haltbar zu machen. Eine dauerhafte Lagerung von Leichen in Stickstofftanks ist dagegen nicht möglich. Allerdings können Verstorbene ins Ausland überführt werden. Für Kryoniker stehen dabei die USA an erster Stelle. Hier bieten gleich zwei Einrichtungen eine Langzeitlagerung an: die »Alcor Life Extension Foundation« in Scottsdale (Arizona) und das »Cryonics Institute« in Clinton Township (Michigan). In Russland können sich Menschen bei der Firma »KrioRus« für ein späteres Einfrieren vormerken lassen. Zumindest eines ist auch hierzulande erlaubt: die Kryokonservierung von toten Haustieren. Die Nachfrage nach dieser Dienstleistung hält sich in Grenzen.
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