Alles für ein prima Klima
Deutsche Hochschulen und Forschungseinrichtungen haben sich dem Ziel der Nachhaltigkeit verschrieben. Von Manfred Ronzheimer
In Zeiten, da die Vereinten Nationen mit ihren Nachhaltigen Entwicklungszielen für 2030 (Sustainable Development Goals, SDG) die Marschroute für Politik und Gesellschaft vorgegeben haben, um zu einer Erde im ökologischen und sozialen Gleichgewicht zu gelangen, wollen auch die Wissenschaften nicht tatenlos am Wegesrand verharren. Zumindest in den deutschen Hochschulen und Forschungseinrichtungen ist ein Aufbruch in Richtung Nachhaltigkeit zu spüren. Sowohl an der Basis wie neuerdings auch mit Rahmensetzungen »von oben« wächst das Engagement für eine nachhaltig ausgerichtete Forschung und Lehre.
»Das ist ein Meilenstein«, freute sich im Herbst vergangenen Jahres Ernst Theodor Rietschel, als er auf dem dritten Nachhaltigkeitssymposium des Bundesforschungsministeriums das grüne »LeNa«-Kompendium präsentieren konnte. »LeNa« ist das Kürzel für den »Leitfaden für das Nachhaltigkeitsmanagement in außeruniversitären Forschungseinrichtungen«, den die Fraunhofer-Gesellschaft mit den beiden anderen Wissenschaftsorganisationen Helmholtz- und Leibniz-Gemeinschaft gemeinsam formuliert hatten. Seit mehr als drei Jahren hatte Rietschel, anfangs noch als Präsident der Leibniz-Gemeinschaft mit über 80 Forschungsinstituten in ganz Deutschland, für eine ökologische Selbstverpflichtung der deutschen Wissenschaft gestritten. Zunächst ohne Erfolg. »Unser Versuch im Wissenschaftsjahr 2012 zur Zukunft der Erde war letztlich gescheitert«, räumt der Wissenschaftsmanager rückblickend ein. Trotz Unterstützung aus dem Forschungsministerium verwahrten sich wissenschaftspolitische Schwergewichte wie die Max-Planck-Gesellschaft (MPG) und die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) vehement gegen einen »Code of Conduct« zur Nachhaltigkeit. Dies stelle einen unzulässigen Eingriff in die Freiheit der Wissenschaft dar.
Andere Forschungseinrichtungen sahen das nicht so apodiktisch. Die Fraunhofer-Gesellschaft, die schon seit einigen Jahren einen Nachhaltigkeitsbericht für ihre 60 Institute erstellt, ergriff die Initiative und begann mit den Arbeiten am »LeNa«-Leitfaden. Er sollte die Grundprinzipien formulieren, nach denen wissenschaftliche Einrichtungen ihren Betrieb stärker an den drei zentralen Handlungsbereichen der Nachhaltigkeit - Umwelt- und Sozialverträglichkeit sowie wirtschaftliche Kreislaufprozesse - ausrichten können. »Wir haben dazu alle Funktionsbereiche von Wissenschaftseinrichtungen in den Blick genommen«, sagt Cornelia Reimoser von der Fraunhofer-Zentrale in München, eine der Autorinnen des Vademecums.
Insgesamt listet »LeNa« fünf Handlungsfelder auf, für die ein Nachhaltigkeits-Check in der Wissenschaft ansteht: Neben der Organisationsführung des Instituts, dem Personalmanagement und der Forschung zählen dazu auch die Bewirtschaftung von Gebäuden und Infrastrukturen sowie unterstützende Prozesse wie das Beschaffungswesen oder das Mobilitätsmanagement der Beschäftigten. Im Idealfall werden auf diese Weise nicht nur Öko-Themen theoretisch erforscht, sondern das Wissen über Energieeinsparung und Abfallreduzierung wird auch praktisch im eigenen Institut angewendet. »Jetzt geht es darum, die Handreichung in die Praxis zu überführen«, erklärte Bundesforschungsministerin Johanna Wanka bei der Entgegennahme der Empfehlungen erwartungsvoll.
Nach den außeruniversitären Forschungseinrichtungen kommen nun auch die Universitäten an die Reihe. Nur 20 der insgesamt 450 Hochschulen in Deutschland managen ihre Gebäude bislang nach den Standards der Umweltschutzrichtlinie EMAS. Um hier einen Schub zu bewirken, hat das Wanka-Ministerium vor kurzem das Förderprogramm »Hoch-N« gestartet, das die Hochschulen auf Nachhaltigkeitskurs bringen soll. 12 Universitäten und Fachhochschulen sind in der ersten Runde dabei, unter ihnen die Leuphana Universität Lüneburg und die Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde. Später sollen es an die 100 Hochschulen werden. Allerdings folgen sie nicht den LeNa-Leitlinien der Forschungsinstitute, sondern - soviel Wissenschaftsfreiheit muss sein - sie setzen die 20 Kriterien des »Deutschen Nachhaltigkeitskodex« (DNK) um, der vom Rat für Nachhaltige Entwicklung der Bundesregierung erarbeitet wurde. Unterschiedliche Wege zum gleichen Ziel.
Damit das »Greening« der Wissenschaft nicht ins Stocken gerät, mischen sich auch die Studierenden ein, quasi als ökologische Basisbewegung von unten. Der anfangs lockere Verbund von Studentengruppen zum Thema Nachhaltigkeit hat sich als »Netzwerk N« inzwischen bemerkenswert professionalisiert. In einem »Wandercoaching« werden die Erfahrungen, wie etwa eine Ringvorlesung zu Umwelthemen organisiert und die Mensa um vegane Kost bereichert wird, von einer Hochschule zur nächsten getragen.
Jüngstes Produkt des Studierenden-Netzwerks ist eine Best-Practise-Sammlung (»Zukunftsfähige Hochschule gestalten«) mit 27 konkreten Beispielen nachhaltiger Hochschulreformierung. »Eine zentrale Erkenntnis der Sammlung ist«, sagt Lisa Weinhold vom Projektmanagement des Netzwerks (das ebenfalls eine Förderung aus dem BMBF erhält), »dass vor allem Studierende immer energischer Umgestaltungen an der eigenen Hochschule einfordern und diese bereits durch konkrete Projekte verändern«. Mit der Zusammenstellung von »Beispielen des guten Gelingens« will man das Nachahmen an anderen Hochschulen erleichtern und befördern.
Viele Beispiele betreffen das Lehrangebot, das für Studierende der zentrale »Daseinszweck« an der Hochschule darstellt. So wurden an der Uni Tübingen ein »Studium Oecologicum« und an der TU Dresden Umweltvorlesungen eingeführt, die sich an Studierende aller Fächer richten und mit prüfungsrelevanten Creditpoints honoriert werden. An der Freien Universität Berlin geht die Lehre auch aus der Uni heraus: In den Semesterferien wird eine »Klimaschule« für Berliner Schüler veranstaltet, die mittlerweile über 20 000 Teilnehmer verzeichnen konnte. An der Uni Erfurt und der Uni Heidelberg wurden Aktionen entwickelt, mit denen das Öko-Wissen der Forscher in die Zivilgesellschaft hineingetragen werden kann. Im brandenburgischen Eberswalde und im niedersächsischen Oldenburg wurden die Mensen auf die Verarbeitung von hundert Prozent biologisch angebauter Lebensmittel umgestellt. An der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin wurde von den Studierenden ein eigener Campus-Garten am Ufer der Spree angelegt, zunächst gegen die Weigerung der Hochschulleitung, dann mit Duldung.
In einigen Fällen schiebt das Nachhaltigkeits-Engagement auch übergreifende Prozesse an, die der gesamten Hochschule zugute kommen. So kam an der Universität Kiel durch permanentes Nachbohren der Studenten ein Klimaschutzprogramm zustande, das die Energiekosten in einigen Gebäuden um bis zu 50 Prozent reduzieren konnte.
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