Zeichnerisch vergewissertes Leben

Vor 100 Jahren wurde der Illustrator und Grafiker Werner Klemke geboren

  • Harald Kretzschmar
  • Lesedauer: 4 Min.

Wir erinnern uns - und suchen Zusammenhänge. Viele sind mit zunehmendem Alter mit der Frage konfrontiert, welchen Sinn denn nun ihr Leben gehabt habe. Da zählen viele Details, die ein Puzzle ergeben. Freundlich, dabei eines Künstlers zu gedenken, der ein bestimmtes Lebensgefühl zu erzeugen half. Wie sind die Kinder aufgewachsen? Was haben wir vorzugsweise und gern gelesen? Welche Bildwelt begleitete unseren Alltag? Woran hatten wir Lust? Das sollen ja Zeiten gewesen sein, vollgepackt mit lauter Pflichtaufgaben bis hin zur totalen Bevormundung, ja Unterdrückung. Nun gut. Lassen wir das. Fragen wir nach Witz und Charme, Fantasie und Geist.

Reden wir über Werner Klemke. Das Künstlerleben des am 12. März 1917 in Berlin-Weißensee geborenen, gymnasial gebildeten Handwerkersohns konnte erst 1945 richtig losgehen. Die vorherigen Versuche als Trickfilmzeichner zählten kaum. Über ausnahmsweise tatsächliche Heldentaten als Flaksoldat in den okkupierten Niederlanden sprach er nicht. Zurück im Berliner Kiez, gingen Familiengründung und Berufsstart ins engagierte Zeichnen überein. Politische Karikaturen für »Ulenspiegel« und »Frischer Wind« und Plakate in derselben Richtung markierten zunächst die Richtung. So, wie ein neu gegründetes Verlagswesen Illustratoren suchte, brauchte der volkseigene Filmvertrieb Plakatschöpfer. Aber bitte mit gepfeffertem Witz und in großzügiger Machart, sagte sich der Weißenseer. Stieg voll ein, und steuerte eine gediegene Buch-und-Medien-Kultur an.

Der in der Weltliteratur bestens bewanderte Bücherfreund wurde bald gleichzeitig ein handwerklich vorzüglich versierter Holzstecher, pädagogisch ein durchs eigene Vorbild wirkender Hochschullehrer und organisatorisch ein umsichtiger Initiator der bibliophilen Pirckheimer-Gesellschaft. Aus seinem stillen, als Bücherparadies eingerichteten Atelier heraus wirkte er vielfältig in die Öffentlichkeit hinein. Die Zahl der von ihm gestalteten Bücher für kleine und größere Kinder sowie aufzuklärende oder aufgeklärte Erwachsenen wurde schnell unübersehbar. Nicht nur durch die Titelgestaltung der monatlichen Hefte des »Magazins« bestimmte er das Gesicht von Printmedien. Die Akademie der Künste sorgte sich in seiner Person um den Austausch mit ausländischen Persönlichkeiten. Die Wettbewerbe für schönste Bücher wurden mit ihm zu Diskussionsforen um Qualität.

Das Erscheinungsbild dessen, was Werner Klemke zeichnete, ragte weit in die elitären Höhen ästhetisch anspruchsvoller Bucheditionen, und doch gründete es im gesunden Menschenverstand des ganz Alltäglichen. Eine Presse, heute oft genug als dogmatisch entstellt denunziert, war damals durchaus fähig, Aufklärung mit Unterhaltung symbiotisch zu verbinden. Dass sie viel öfter und variabler zeichnerische Mittel dafür einsetzte, verdankten seine zahlreichen Schülerinnen und Schüler seinem Vorbild. Wer ein lusterfülltes Leben anpeilte, der konnte in jedem Fall auf Klemke setzen. Während westwärts mit neckischen Filmchen und freizügigen Praktiken eine sexuelle Revolution Mode wurde, zogen sich ostwärts die Bürgerinnen und Bürger an den FKK-Stränden an, weil aus. Ob Klemke nun witzbetont Erotisches zeichnete oder Günter Rössler die Damen maßvoll verführerisch ablichtete - es hatte immer ein gewisses Flair. Und man merkte, woher es kam.

Der Meister als ewiger Fußgänger und Taxibenutzer war dabei so bodenständig dem Kiez von Weißensee verpflichtet, dass man es kaum glauben kann. Nun gut, die italienische Boccaccio-Stadt Certaldo lud ihn zur Ehrenbürgerschaft ein. Aber er war kein Reisezeichner, der seine Skizzenbücher mit schnell notierten Eindrücken füllt. Ganz am Anfang hatte die große Chinareise in den 50er Jahren ihm unauslöschlich die ostasiatische ästhetische Kultur vor Augen geführt. Ein Eindruck, der sein ganzes Schaffen bis zuletzt geprägt hat. Dem chaotisch diffus amerikanisierten Bildgefühl des Westens stand die lapidare Zeichenhaftigkeit des Ostens entgegen: Die Kunst, eine weite, weiße Bildfläche mit präziser Formgebung zu markieren - und das letzten Endes immer mit der menschlichen Gestalt im Mittelpunkt. Aber auch Klemkes Art, Schrift zu gestalten, rührt ganz stark von dieser Anregung. Das alles geschah fernab des angeblichen Dogmas des »Sozialistischen Realismus«.

Selbst seine sprichwörtlich engen Kontakte zur sowjetischen Akademie der Künste in Moskau waren dem nicht verpflichtet. Die beeinflusste eher die ausgeprägte Affinität des Meisters zu jüdischen Freunden, die dort maßgebend die Szene bestimmten. Waren sie doch auch in Berlin die entscheidenden Geburtshelfer seiner Kunst gewesen: Herbert Sandberg hatte ihm seinen »Ulenspiegel« und Hilde Eisler ihr »Magazin« geöffnet, und Bruno Kaiser war der Anregung zur Technik des Holzstichs gewesen. Die gewagte Initiative des jungen Klemke, befreundeten niederländischen Juden gefälschte Papiere herzustellen, war bis zu seinem Tod 1994 sein Geheimnis geblieben. Interessieren wir uns nun nur deshalb wieder für ihn? Das wäre wohl zu kurz gedacht.

Anlässlich des runden Geburtstags erscheint das Buch »Klemke 100 - Kinder kennen Klemkes Kater« der Gruppe »Bücherkinder Brandenburg«. Am 25. März um 14.30 Uhr stellt es die Pirckheimer-Gesellschaft mit einem »Rap auf Werner Klemke« auf der Leipziger Buchmesse vor (Leseinsel Buchkunst und Grafik, Halle 3, H 400).

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