Boden retten 
für den Ökohof

Eine Genossenschaft will ökologische Landwirtschaft 
ermöglichen und Flächen der Spekulation entziehen

  • Haidy Damm
  • Lesedauer: 7 Min.

Immer wieder kämpft sich an diesem Morgen die Sonne durch, ein kalter Wind pfeift um die Stallgebäude, am Himmel schiebt er Wolkengebilde über die uckermärkische Landschaft. Die Landgesellschaft Rothenklempenow am Ende der Dorfstraße macht einen tristen Eindruck - nicht nur, weil der Frühling auf sich warten lässt. Die Produktionsstätte, umgeben von den hofeigenen bewirtschafteten Feldern, umfasst Ställe für Rinder und Schweine und Lagerhallen für die Maschinen, es gibt einen großen Misthaufen und am Rande des Hofes lagert die Silage, gesichert mit Traktorreifen. Direkt hinter dem Eingangstor am schlichten LPG-Riegel liegen Büros und Aufenthaltsraum. Eine Produktionsstätte mit acht Beschäftigten, keine blumige Landromantik.

Rund drei Jahre ist es her, dass die BioBoden eG den Betrieb im äußersten südöstlichen Zipfel von Mecklenburg-Vorpommern, fast an der polnischen Grenze, gekauft hat. Zuvor gab es hier ökologischen Ackerbau und Mutterkuhhaltung. Als 2014 die Gefahr bestand, dass ein konventioneller Landwirt den Hof übernimmt, handelte die BioBoden Genossenschaft: Sie erwarb die 900 Hektar Acker- und Weideflächen kurzerhand und sicherte den Betrieb damit für den Ökoanbau.

Seitdem ist in Rothenklempenow einiges passiert. Rund 500 Rinder stehen heute auf den Wiesen rund um die Landgesellschaft, das Fleisch wird überwiegend bundesweit verkauft, die regionale Vermarktung soll aber zukünftig verstärkt werden. In einem der Ställe wälzen sich Schweine durch Stroh und Erde, auf Wunsch der Beschäftigten, wie BioBoden-Geschäftsführer Uwe Greff erklärt. »Wir wollen hier auch Ideen ausprobieren können, das ist eine wichtige Motivation.« Später soll mit der Schweinehaltung ein weiterer Arbeitsplatz entstehen. Im Ackerbau setzt der Betrieb auf glutenfreien Hafer, der in der Naturkostbranche stark gefragt ist, geplant sind auch Feldfrüchte - in der Zukunft.

Möglich gemacht hat diese Zukunft ein Modell, das aus den 1960er Jahren der Bundesrepublik stammt. Damals begann die GLS Treuhand - ein Vorläufer der GLS Bank - als Gemeinnützige Treuhandstelle GTS, ökologische Landwirtschaft zu fördern. Ihr Modell: Die auf den Höfen tätigen Menschen wurden in die Trägerschaft der Betriebe eingebunden - so wurden vor allem eingetragene Vereine Eigentümer der Höfe, die sie wiederum an Betriebsgemeinschaften verpachteten. Hintergrund war auch damals ein Strukturwandel in der Landwirtschaft.

Auch beim aktuellen Modell kam der Anstoß direkt von den Landwirten. Zwei Bauern aus Brandenburg hatten sich 2007 im Namen von 13 Biolandwirten an die GLS in Bochum gewandt. Sie alle hatten ihre Betriebe in den 1990er Jahren aufgebaut, dann sollten ihre Pachtflächen von der Bodenverwertungsgesellschaft BVVG, deren Aufgabe es ist, Land in Ostdeutschland zu privatisieren, verkauft werden. Um das zu verhindern, gründete die GLS Bank 2009 die BioBoden Gesellschaft. Der Vorläufer der heutigen Genossenschaft kaufte das Land mit Hilfe von 600 Menschen, »ein erster Versuch, unterstützt von wenigen«, erinnert sich Greff beim Rundgang über das Gelände. Einmal gestartet, ließen weitere Anfragen nicht lange auf sich warten. »So wurde die Aufgabe nach und nach größer.« Heute ist die 2015 gegründete Genossenschaft bundesweit aktiv, 25 Partnerhöfe gibt es.

Warum als Genossenschaft? In der Satzung stehe der soziale und gesellschaftliche Auftrag vor dem wirtschaftlichen Erfolg, erklärt der gelernte Bankkaufmann. »Wir sind nicht auf der Suche nach Land, sondern werden aktiv, wenn Landwirte auf uns zugehen. Manchmal werde ich gefragt: Willst du das Stück Land kaufen. Ich sage dann: Nur wenn es einen Landwirt dazu gibt, der das Land ökologisch bewirtschaften will.« Um jeden Preis wachsen will die Genossenschaft nicht. »Wir sehen unsere Aufgabe darin, bei Bedarf nach einer Finanzierung zur Weiterführung zu suchen. Wir sind nur dort unterwegs, wo Landwirte auf uns zukommen.«

Anfragen gibt es immer wieder: So musste der Landwirt des biologisch bewirtschafteten Nachbarhofes in Hintersee 2014 krankheitsbedingt nach vielen Jahren aufgeben. Das Problem: Keine Erben. Die langjährige Betriebsleiterin hatte Interesse, den Betrieb weiterzuführen. So kaufte schließlich die BioBoden Genossenschaft den gesamten Hof. Da nicht nur Geld eine Rolle spielt, wenn Höfe Nachfolger suchen, finanziert die Genossenschaft ein Ausbildungsprojekt, um engagierten jungen Landwirten, die nicht aus Bauernfamilien kommen, auch das betriebswirtschaftliche Know-how mitzugeben.

Doch nicht nur die Hofnachfolge ist ein Problem, vor dem Landwirte heute stehen. Greff berichtet von einem Betrieb, der gerade erst in einen neuen Stall investiert hatte, und dann plötzlich verkaufte die BVVG eine seiner Pachtflächen. Selber kaufen war nach den Investitionen nicht drin. Die BioBoden eG kaufte die Flächen und entzog sie so dem Markt. Denn: »Boden ist keine Ware, sondern unser aller Lebensgrundlage«, erklärt Greff seine Motivation.

Möglich wird der Erhalt ökologisch bewirtschafteter Flächen durch die Anteile von aktuell rund 2800 Genossen, überwiegend »Menschen, denen das Thema wichtig ist, die von ihrem Geld die 1000 Euro Genossenschaftsanteil zusammenkratzen, um die ökologische Landwirtschaft zu unterstützen und der nächsten Generation Boden zu überlassen«. Rendite ist nicht die treibende Kraft, eine sichere Geldanlage ist das Land trotzdem, denn die Bodenpreise steigen.

Spekulationspreise sei die Genossenschaft aber nicht bereit zu zahlen, sagt Greff. »Wir sind kein Landinvestor. Im Gegenteil: Wir entziehen dem Markt durch unser Verhalten sukzessive Boden als Spekulationsmasse.« Allerdings sind die steigenden Preise auch ein Grund, warum Landwirte nicht selbst in Boden investieren können. 2016 mussten Käufer in Mecklenburg-Vorpommern für einen Hektar 24 820 Euro auf den Tisch legen - der höchste Durchschnittspreis aller Ostländer und noch einmal 1461 Euro mehr als ein Jahr zuvor. Zum Vergleich: In Brandenburg kostete BVVG-Acker im Schnitt 13 548 Euro je Hektar. Gerade jungen Menschen, die einen Betrieb übernehmen wollen, fehlt häufig das Kapital. Dabei ist deren Engagement besonders wichtig. »Wir stehen erst am Anfang eines massiven Strukturwandels«, so Greff. In den kommenden Jahren werden viele Landwirte altersbedingt aufhören, 35 Prozent sind älter als 55. Im Gegenzug gibt es nicht genügend Jungbauern, die die Höfe übernehmen könnten oder sie haben kein Geld in der Tasche.

Gleichzeitig bietet die ökologische Landwirtschaft ein großes Potenzial, der wachsende Verbrauch wird momentan überwiegend aus dem Ausland bedient. Bis zu 20 Prozent der Fläche soll nach dem Willen der Bundesregierung zukünftig ökologisch bewirtschaftet werden. In Mecklenburg-Vorpommern sind es aktuell 9,4 Prozent, damit liegt das Bundesland über dem bundesweiten Durchschnitt von 6,5 Prozent. Bei der derzeitigen Entwicklung der Ökolandbaufläche ist Deutschland von seinem Ziel jedoch noch weit entfernt.

In Rothenklempenow aber ist man überzeugt: Die Zukunft liegt in der ökologischen und global gerechten Landwirtschaft. »Dieser Weg ist für uns der einzig richtige, denn die Folgen der intensiven Landwirtschaft sind bereits seit vielen Jahren überall auf der Welt sichtbar: Hungersnöte, Krankheiten und Vertreibung. All das zeigt: Wir müssen dringend handeln. Wenn wir unsere Böden nicht schützen, beraubt sich die Menschheit ihrer Lebensgrundlage.«

Der gebürtige Bochumer Tobias Keye wohnt seit einem Jahr im Dorf und unterstützt die Höfe der BioBoden eG bei der Vermarktung. Für ihn hat ihre Aufgabe »weltweite Relevanz, weil wir überall das Problem der Landflucht haben und gleichzeitig die Landwirtschaft sichern müssen«. Keye beobachtet seit einiger Zeit, dass verstärkt ehemalige Bewohner zurückkommen und immer mehr Städter sich in der Gegend ein Häuschen zulegen. »Es gibt eine Bewegung von jüngeren Menschen, die aufs Land ziehen, nicht nur wegen der hohen Mieten in den Metropolen, sondern auch wegen der Sehnsucht nach Ruhe und einem anderen Leben.«

Zwar fehle es auf der einen Seite an Infrastruktur, andererseits biete der ländliche Raum unzählige Gestaltungsmöglichkeiten. »Ich kann ein Café aufmachen oder gemeinschaftlich Brot backen. Hier liegt ein Auftrag für eine ganze Generation«, schwärmt Keye begeistert.

Reine Landromantik? »Sicher, als Zugezogene werden sowohl wir wie auch unsere Ideen erst mal skeptisch begutachtet, in der Region gibt es ja auch genügend negative Erfahrungen, aber ich bin ganz zuversichtlich.« Es sei ja nicht so, dass jede Idee, die eingebracht wird, neu ist, in den meisten Fällen werde eine alte Tradition wiederbelebt: Osterfeuer, Erntedank, Nachbarschaftshilfe. »Wir wollen hier nicht einfallen wie ein Bulldozer, sondern die Ideen gemeinsam mit den Menschen vor Ort entwickeln und dann sukzessive neue Ideen umsetzen.« Keyes Erfahrung ist: »Die meisten Menschen hier sind froh, wenn wieder was passiert.« Für ihn bedeutet die Uckermark nicht, »am Arsch der Welt zu leben, sondern im Speckgürtel von Stettin und nur knapp zwei Stunden entfernt von Berlin«. Rothenklempenow liegt also mittendrin - europäisch betrachtet.

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