Psychoanalytische Sozialpsychologie

Bildungsrauschen

  • Lena Tietgen
  • Lesedauer: 2 Min.

Die Psychoanalytische Sozialpsychologie hat ihre Wurzeln zum einen bei dem Begründer der Psychoanalyse Sigmund Freud, zum anderen beim Philosophen Karl Marx. Als empirische Wissenschaft wurde die Disziplin aber entscheidend von dem Psychoanalytiker, Sozialpsychologen und Humanisten Erich Fromm (1900-1980) geprägt. Dieser wurde mit der Option, sich auf Psychoanalyse und Sozialpsychologie zu konzentrieren, 1930 Mitglied im Institut für Sozialforschung in Frankfurt am Main. Sein programmatischer Aufsatz »Über Methode und Aufgabe einer Analytischen Sozialpsychologie« wurde dann 1932 in der ersten Ausgabe der »Zeitschrift für Sozialforschung« veröffentlicht. 1937 folgte eine »Neufassung seines psychoanalytischen Ansatzes«. (fromm-online.org)

Fromm formulierte Freuds Triebtheorie zur »anthropologischen Bezogenheitstheorie« um, in der die Beziehung der Menschen Ausgangspunkt ist. (Burkhard Bierhoff in »Erich Fromm. Analytische Sozialpsychologie und visionäre Gesellschaftskritik«) In einem Brief an Karl August Wittfogel schreibt Fromm: »Ich versuche zu zeigen, dass die Triebe, die gesellschaftliche Handlungen motivieren, und nicht, wie Freud annimmt, Sublimierungen der sexuellen Instinkte sind, sondern Produkte des gesellschaftlichen Prozesses, oder genauer gesagt, Reaktionen auf bestimmte Konstellationen, unter denen der Mensch seine Instinkte befriedigen muss.« Über die Bedeutung gesellschaftlicher Bedingtheiten entwickelte Fromm anschließend den Begriff des Sozialcharakters. Während er fortan Psychoanalyse als analytische Sozialpsychologie verstand, lehnten andere führende Mitarbeiter des Instituts für Sozialforschung (Horkheimer, Löwenthal, Marcuse und Adorno) seine »Bezogenheitstheorie« ab, so dass es 1939 zur Trennung kam. Die ersten umfangreichen sozialpsychologischen Felduntersuchungen Fromms erfolgten 1957 bei mexikanischen Bauern. »Ich glaube, dass man an die Gleichheit der Menschen gerade deshalb erinnern muss, weil damit ein Ende gemacht werden muss, dass der Mensch ein Instrument des anderen wird«, schrieb er später.

Fromms wissenschaftlicher Nachlass, einschließlich der Originalmanuskripte und handschriftliche Entwürfe, die Literatur über ihn und das Fromm-Forschungszentrum befinden sich im »Erich Fromm Institut Tübingen«. Heute sieht sich die Gesellschaft für psychoanalytische Sozialpsychologie (GfpS) in dieser Tradition. Psychoanalytische Sozialpsychologie sei eine »Sozial- und Kulturwissenschaft«, die sich - »gesellschaftliche Strukturen und kulturelle Muster im Blick« - auf »Form und Genese der menschlichen Innenwelt, der Psyche« konzentriere. 2012 widmete man sich in »Freie Assoziation. Zeitschrift für das Unbewusste in Organisation und Kultur« der »Geschichte psychoanalytischer Sozialpsychologie«, die die »Arbeitsgemeinschaft Politische Psychologie« der Leibniz Universität Hannover als Download zur Verfügung stellt. (agpolpsy.de) Lena Tietgen

psychoanalytischesozialpsychologie.de

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!