Hammermäßig. Aber wo ist die Sichel?
»Der Luthereffekt« - eine Ausstellung des Deutschen Historischen Museums im Martin-Gropius-Bau in Berlin
»Meine Damen und Herren, der Bundespräsident!« Auf Kommando erhob sich brav das geladene Publikum. Und wartete. Und wartete. Unruhe, Getuschel, Grinsen. Wo bleibt Frank-Walter Steinmeier? Vielleicht war ein Abstecher nötig. Dahin, wohin auch der Kaiser zu Fuß geht. Endlich kam er. Auf leisen Sohlen. Um so lauter hallten die Absätze der Kulturstaatsministerin.
Hammermäßig. Das Staatsoberhaupt ist Schirmherr der neuen Ausstellung des Deutschen Historischen Museums (DHM) »Der Luthereffekt. 500 Jahre Protestantismus in der Welt«. Deren Logo sind drei Hämmer. Die volle Wucht der Reformation symbolisierend. Und anspielend auf Luthers Thesenanschlag. Zugleich darauf verweisend, dass sich im Mai zur DHM-Schau zwei weitere nationale Expositionen gesellen - auf der Wartburg und im Augusteum in Wittenberg. Während diese sich auf die deutsche Reformation kaprizieren, blickt die Ausstellung in Berlin - »der Stadt, in die Luther nie einen Fuß setzte«, wie Projektleiterin Anne-Katrin Ziesak anmerkte - in die weite Welt.
Diese globale Sicht würdigte explizit Monika Grütters beim Eröffnungsfestakt am Dienstagabend. Die Ministerin sieht im Reformationsjubiläum einen Anlass zum Feiern wie auch zum Nachdenken darüber, wie diese, »vom kleinen Wittenberg ausgehend, eine weltbewegende Kraft entfalten konnte«. Calvinist Steinmeier, der zunächst über den Titel der Schau witzelte (»Placebo-Effekt?«), verwies auf die anhaltende Anziehungskraft des Mannes aus dem Mansfelder Land »mit all seinen Ecken und Kanten, an denen wir uns noch heute reiben«. Von der Reformation aufgeworfene Fragen seien 500 Jahre danach noch aktuell: nicht Abkehr von der Welt, sondern Engagement für eine lebenswerte. Der Bundespräsident mahnte Solidarität an und sprach von friedlicher Koexistenz, verlor jedoch kein Wort über den Syrienkonflikt.
Die nunmehr bereits dritte DHM-Ausstellung im Martin-Gropius-Bau - »Aller guten Dinge sind drei«, freute sich Ulrike Kretzschmar, Interimspräsidentin des DHM - verschweigt nicht die gewalttätige Seite der Reformation. Nicht nur, indem sie auf den aus konfessionellen und machtpolitischen Egoismen geführten Dreißigjährigen Krieg verweist. An geklagt werden Zwangsmissionierungen im Gefolge imperialer Eroberungen, so in Deutsch-Ostafrika, aber auch der Indianer Nordamerikas und der Samen in Nordschweden.
Um die weltumspannende Wirkungsgeschichte des Protestantismus von seiner Entstehung im 16. Jahrhundert bis heute sowie dessen globale Vielfalt anzudeuten, wählten die Kuratoren vier Länder aus: das sich einst als Schutz- und Garantiemacht der Reformation verstehende Schweden, in dem der Protestantismus bis zur EU-Aufnahme religiöses Dogma war; die sich als »Gottes eigenes Land« titulierende USA als ein auf Toleranz setzendes Gegenmodell; Korea, wo 20 Prozent der Bevölkerung Protestanten diverser Couleur sind; Tansania mit der stärksten Lutherischen Gemeinde in Afrika. »Der Protestantismus ist hochkomplex«, betonte Ziesak beim ersten öffentlichen Rundgang. »Wir konnten nicht einmal 50 Prozent seiner Facetten abdecken.«
Mut zur Lücke ist selbst auf einer Ausstellungsfläche von fast 3000 Quadratmetern nötig. Obwohl 500 Objekte aus dem DHM-Fundus sowie von nationalen und internationalen Leihgebern geboten werden, wirkt die Schau sparsam bestückt, nicht überladen. Und das ist auch gut so.
Im Bereich, der den exemplarischen Länderkapiteln vorgelagert ist, wird ein kurzer historischer Abriss der Reformation im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation offeriert. Ein besonderes Unikat ist die Übersetzung von Luthers Neuem Testament ins Jiddische von 1540/41. Die Schrift wird flankiert von Luthers Pamphleten gegen die »Juden und ihre Lügen« sowie »Vom Kriege widder die Türcken«. Eindrucksvoll der Lutherschwan aus vergoldetem Kupfer, 1597 für einen ostfriesischen Kirchturm als Wetterfahne gefertigt.
Häufigste Exponate sind Gebets- und Gesangsbücher. Im schwedischen Abschnitt trifft man mehrfach auf Gustav Adolf, der sich als Verteidiger des wahren Glaubens in etliche Schlachten warf. Das Stockholmer Blutbad vom 8./9. November 1520, das der dänische König Christian II. unter führenden Köpfen der schwedischen Unabhängigkeitspartei anrichten ließ, bereitete den Boden für die Abwendung der Schweden von der katholischen Kirche - festgeschrieben dann im Glaubensbekenntnis von Uppsala 1593. Der prachtvolle Königsmarck’sche Wandteppich (um 1690) zeigt die vier Stände auf die Bibel schwörend. Eine Zeremonialtrommel der Sámi und der Bericht eines Pfarrers über deren heidnischen Aberglauben und »teuflische Praktiken« stehen für Zwangsmissionierung und Unterwerfung des nordskandinavischen Volkes auf königliche Anordnung von 1673.
Eingangs des Kapitels USA begrüßt den Besucher der 1968 in Memphis erschossene afroamerikanische Baptistenprediger und Bürgerrechtler Martin Luther King. Ein Gemälde von 1830, »Königreich des Friedens«, verbildlicht einen Bibelvers: »Da werden die Wölfe bei den Lämmern wohnen und die Panther bei den Böcken lagern. Ein kleiner Knabe wird Kälber und junge Löwen und Mastvieh miteinander treiben.« Der ewige Traum vom ewigen Frieden. Lieblingsstücke der Kuratorin Ziesak sind die Nadelkissen der Amischen, »Ausdruck ihrer Demut und Bescheidenheit«. Daneben zwei Wannen, wie sie von Mennoniten in Pennsylvania für rituelle Fußwaschungen benutzt wurden respektive werden. Diese Glaubensgemeinschaft ist nach Menno Simons benannt, klärt der Direktor des Martin-Gropius-Baus Gereon Sievernich auf. Jener habe die nach der Zerschlagung des utopisch-kommunistischen Täuferreiches von Münster der 1530er Jahre versprengten Glaubensbrüder wieder vereint.
Zu sehen sind Taufregister missionierter Indianer und eine abolitionistische, die Sklavenbefreiung propagierende Zeitung. Die Titelvignette von »The Liberator« (Der Befreier) zeigt Christus, der Versklavten verspricht: »Ich komme, um die Fesseln des Unterdrückers zu sprengen.« In der Ausstellung wird die besonders aktive Rolle von Frauen in der abolitionistischen Bewegung hervorgehoben, die den Kampf gegen die Sklaverei mit jenem für ihre Emanzipation verbanden. Ein früh-feministisches Motto fragt: »Bin ich nicht eine Frau und eine Schwester?« Im US-Abschnitt begegnet man sogar Daniel Boone, den in den 1960er Jahre eine Fernsehserie verherrlichte. Der Trapper, der mit seiner Familie und anderen weißen Siedlern gen Westen zog, okkupierte in Kentucky keinesfalls völlig unbewohntes Land.
Die im Maji-Maji-Aufstand von 1905 geschmiedeten Allianzen afrikanischer Stämme gegen die deutschen Kolonialherren stehen bis heute für die nationale Einheit Tansanias, erfährt man. Und dass um des religiösen Friedens willen dort keine Daten zur Religionszugehörigkeit erhoben werden. Eindrucksvoll der Lebensbaum aus den 1960er Jahren, den ersten Jahren der Unabhängigkeit. Das Gewimmel auf der feinen Schnitzerei der Makonde, ein Bantuvolk, assoziiert menschheitliche Brüder- und Schwesterlichkeit. Die Stola eines Massai-Pfarrers und Spruchtafeln aus Rindenbast stehen für die Christianisierung. Erfreulich, dass die Kuratoren an den afrikanischen Sozialismus erinnern, der vom tansanischen Staatspräsidenten Julius Nyerere 1967 in Arusha proklamiert wurde. Dessen »Ujamaa« (Sozialismus auf Swahili) wurde von der Evangelisch-Lutherischen Kirche Tansanias unterstützt, die sich heute für Demokratisierung in Politik und Wirtschaft sowie gegen Korruption einsetzt. Eine aktuelle Fotoreportage von Karsten Hein zeigt plurales protestantisches Leben in Ostafrika.
Wer wissen will, wie sich das Neue Testament liest, wenn Jesus Koreaner gewesen wäre, sollte sich den Bilderzyklus anschauen, den 1952 Kim Ki-chang auf Seide tuschte. Gewürdigt wird nahebei der 2013 verstorbene südkoreanische Pfarrer Hong Gün-su von der presbyterianischen Hyanglin-Kirche in Seoul, der 1991 verhaftet wurde - wegen Verstoßes gegen das Gesetz zur nationalen Sicherheit, das Kontakte zu Nordkoreanern unter Strafe stellt und übrigens noch heute gültig ist. Eine Pinnwand ist übersät mit Petitionskärtchen von 2013, die Abrüstung und Aufnahme von Friedensverhandlungen zwischen Nord- und Südkorea fordern. Es gibt auch Objekte aus Kims »Volksrepublik«, darunter ein Geschenk aus dem Jahr 1995: ein Holzkreuz mit Taube.
Die vom Marketing ersonnenen drei Hämmer können durchaus als Ausrufezeichen für den Gehalt dieser Ausstellung stehen. Eine Sichel hätte gut dazu gepasst. Nicht nur, weil vor 500 Jahren Bauern die Bevölkerungsmehrheit ausmachten, sondern sie auch aufstanden, um die Reformation weiterzutreiben zu einer Gesellschaft der Gerechten und Gleichen. Dieser sozialrevolutionäre Impetus leuchtet in der Schau verschiedentlich auf. Die Sichel zum Hammer spart sich das DHM aber offenbar für Oktober auf, wenn es im eigenen Haus das Echo der Russischen Revolution einfangen will.
»Der Luthereffekt«, Martin-Gropius-Bau, bis 5. 11., tägl. 10 - 19 Uhr, außer Di., Katalog (Hirmer, 432 S., geb., 29,90 €)
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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