Barometer für Indonesiens Toleranz
Bei Jakartas Gouverneurswahl stehen sich ein Muslim und ein Christ gegenüber
Indonesien ist das bevölkerungsreichste islamische Land, fast 90 Prozent der über 250 Millionen Indonesier sind Muslime. Bisher galten die muslimischen Stimmen im Land als gemäßigt, Indonesien war das Vorzeigeland religiöser Toleranz.
Doch im vergangenen Jahr kratzten wutentbrannte Demonstrationen konservativer Muslime an dem toleranten Image des Landes. Auslöser für die Proteste waren Bemerkungen von Basuki Thahaja Purnama, dem amtierenden Gouverneur von Jakarta. Er ist ein Christ mit chinesischen Wurzeln, den alle Ahok nennen. Seine Äußerungen wurden von einigen als Beleidigung des Koran ausgelegt. Ahok steht deshalb wegen Blasphemie vor Gericht. Trotzdem will er am Mittwoch seine Position gegen den zweiten Kandidaten, Anies Baswedan, verteidigen. Baswedan hat die Unterstützung der konservativen muslimischen Verbände und Institutionen, laut denen es eine »Sünde« ist, für einen Christen zu stimmen.
Doch nicht alle Muslime im Land wollen die Wende zum konservativen Islam. Nach den großen Demonstrationen im vergangenen Jahr ist inzwischen wieder deutlich mehr Ruhe in die Zehn-Millionen-Metropole eingekehrt. Vor kurzem hat sogar die größte muslimische Organisation des Landes, Nahdlatul Ulama, Ahok zu sich eingeladen und ihn mit warmen Worten begrüßt. »Wir unterscheiden nicht zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen«, sagte damals Said Aqil Siradj, das Oberhaupt der Organisation. »Wir wünschen Ahok ein langes Leben, Gesundheit und Gottes Segen.«
Ob die moderaten Bemerkungen sich bei der Wahl am Mittwoch als positiv für Ahok erweisen werden, ist unklar. Laut Prognosen wird die Wahl ein Kopf-an-Kopf-Rennen werden. »Es ist eine angespannte Situation in Jakarta«, sagte Agoes Soedjarwo, ein indonesischer Schauspieler, der in Australien lebt, und dort mit Spannung auf den Ausgang der Wahl wartet. »Ahok hat eine Menge für die Menschen in Jakarta getan, er hat den Lebensstandard für die Menschen in Jakarta langsam weiter verbessert.«
Volker Bromund, ein deutscher Geschäftsmann in Jakarta, würde einen Sieg Ahoks begrüßen. »Es wäre schon ein wichtiges Zeichen, wenn in der Hauptstadt ein Christ und ethnischer Chinese gewählt würde, da in den vergangenen Jahren eine schleichende Islamisierung mit stark nationalistischen Tendenzen deutlich spürbar ist«, sagte er.
Die englischsprachige »Jakarta Post« kritisierte in einem Leitartikel, dass der Religionsfaktor sowie in etwas geringerem Ausmaß rassistische Aspekte den Wahlkampf in so großem Ausmaß beeinflusst haben. Daran seien weniger die Kandidaten als ihre Unterstützer Schuld, die oftmals mit Hilfe sozialer Medien Stimmung gemacht hätten. »Diese beiden Themen haben praktisch alle weitaus wichtigeren Aspekte, über die die Kandidaten hätten sprechen sollen, getrübt«, hieß es in dem Artikel.
Derzeit schaue das gesamte Land auf Jakarta: »Die Hauptstadt ist tatsächlich das Barometer für Indonesiens politischen Puls, deutlich mehr als jede andere Region«, schrieb »Jakarta Post«. Was auch immer diese Woche für die Stadt bringen werde, es werde Auswirkungen auf die nächsten landesweiten Wahlen 2019 haben.
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