Den Anfang feiern
Im Kino: »Trockenschwimmen« von Susanne Kim
Man schwimmt, um nicht unterzugehen. Ist das eine zu billige Metapher? Ja, denn Schwimmen, das Gleiten auf und im Wasser, macht schließlich auch Spaß. Es ist ein bisschen wie Rausch, dieses ungestraft Den-Boden-unter-den-Füßen-Verlieren. Wer schwimmen kann, den trägt das Wasser, als wäre er federleicht.
Da liegt das Problem, nicht jeder kann schwimmen. Jeder vierte Deutsche kann es nicht. Sieben Rentner in Leipzig wollen dem Mangel Abhilfe schaffen und buchen einen Zehntagekurs Schwimmen-lernen-für-Senioren. Und die Filmemacherin Susanne Kim begleitet sie, unterhält sich mit ihnen über ihr Leben, nimmt auch experimentell-eigentümliche Traumpassagen (ein Wasserballett etwa aus einem Hollywoodfilm) in ihre Dokumentation mit auf - das wirkt dann wie filmischer Schwimmunterricht für die Regisseurin.
»Trockenschwimmen« findet schließlich jenen ruhigen Rhythmus, den braucht, wer auf dem Wasser gleiten und nicht in ihm versinken will. »Schwimmen lernen heißt leben lernen.« Dieser Satz, gesprochen von Monika - vierundsiebzig Jahre alt und immer mit einer blütenkranzähnlichen Badehaube auf dem Kopf - schwebt gleichsam über dem Film.
Die hier nach den Anweisungen der Schwimmlehrer (die vom gleichen Typus Mensch zu sein scheinen wie Fahrlehrer) erst im flachen dann im tiefen Wasser ihre Schwimmbewegungen einüben, was erhoffen sie sich davon? Leben lernen? Ja, zu wissen, dass dies auch Sterben-Lernen heißt. Loslassen, am Ende doch im Wasser versinken, aber eben nicht als Unglücksfall, sondern als Einswerden mit einem der Urelemente.
Die Gefahr frei schwebender Philosopheme schwimmt also bei »Trockenschwimmen« immer mit. Trockenschwimmen ist natürlich ein Widerspruch in sich. Zuerst einmal muss man ins Wasser, dann kann man schwimmen lernen. Und die Alten tun es, ohne Angst vor jener unfreiwilligen Komik, die darin liegt, hier verspätet das nachzuholen, was andere schon als kleine Kinder lernen.
Man muss schon mal nachfragen, warum diese klugen und nicht einmal unsportlichen Menschen nie schwimmen lernten. Und die Regisseurin lässt sich die Geschichten erzählen, auch die des späten Willens, etwas anscheinend Unabänderliches doch noch zu korrigieren. Da ist ein passionierter alter Segler, der weiß, wenn er einmal ohne Schwimmweste über Bord ginge, dann würde er sofort ertrinken. Irgendwann, bei seinen Schwimmübungen im Leipziger Hallenbad, erzählt er von seiner Kindheit im Krieg.
Wie der Vater Urlaub von der Front bekam, ganz kurz nur - und an diesem Tag mit seinen beiden Kindern ins Freibad ging. Seiner Schwester brachte er an diesem Tag das Schwimmen bei und zu dem Jungen sagte er: Du bist das nächste Mal dran! Ein nächstes Mal gab es nicht. Nun will er das damals Ausgebliebene nachholen, und wie er das erzählt, spürt man, es hat auch etwas mit der Art der Erinnerung zu tun, mit dem Zurücklassen einer alten Geschichte, die noch ganz gegenwärtig schmerzt.
»Trockenschwimmen« ist ein sehens- und hörenswerter Mix aus Altersweisheit und spätem jugendlichen Übermut geworden. Nochmal neue Erfahrungen machen, etwas lernen, von dem man lange schamvoll verschwieg, dass man es nicht kann. Auch weil man immer anderes zu tun hatte. Die Hausfrau etwa, die nie Zeit für sich hatte. Auch sie erzählt, wie sie als Kind schwimmen lernen sollte. Mit einem Autoreifen im tiefen Wasser. Durch den aber rutschte sie hindurch und wäre fast ertrunken, doch die Umstehenden lachten bloß. Für viele Jahrzehnte war das Wasser nun ein gefährlicher Ort für sie, den sie mied.
Die an diesem Senioren-Schwimmkurs teilnehmen, wollen solch lange nachwirkenden Verletzungen hinter sich lassen. Davor unbeholfen zu wirken, oder ausgelacht zu werden, fürchten sie sich nicht mehr. Sie sind ja selbst die Ersten, die über die komische Figur, die sie hier machen, lachen können.
Da drängt sich der Vergleich zu einem anderen wunderbaren Film über den Sport und das Alter auf: »Herbstgold« von Jan Tenhaven, der vor einigen Jahren ins Kino kam. Uralte Olympioniken, die ihr Leben lang erfolgreich Leichtathletik betrieben hatte, sprinteten oder warfen immer noch den Diskus - der Älteste von ihnen war gerade hundert Jahre alt geworden. Ihre erzielten Zeiten oder Weiten, über die sie früher gelacht hätten, waren hart erkämpft. Ein Grund stolz zu sein - wieder einen Tag lang die eigene schwindende Kraft gefeiert, der ablaufenden Lebenszeit etwas entgegengesetzt, das mit Anfang zu tun hat.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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