Anders als viele meiner linken Freunde
Ist die Niederlage von Le Pen schon sicher? Keineswegs, warnen Autoren wie Édouard Louis und Laurent Binet - und stimmen für Macron
Es ist erst ein paar Tage her, dass Emmanuel Todd im Kurznachrichtendienst Twitter für Schlagzeilen in Frankreich sorgte. Der Autor, der sich selbst einst einen »Stichwortgeber für Debatten der französischen linken Mitte« nannte, hatte die Entscheidung zwischen dem Liberalen Emmanuel Macron und der Rechtsradikalen Marine Le Pen als eine zwischen zwei praktisch gleichwertigen Übeln bezeichnet.
Auf Twitter hieß es zwar gleich, es handele sich doch gar nicht um einen offiziellen Account des Historikers. Doch Todd selbst war es, der die umstrittene Rede von der Wahl zwischen Pest und Cholera kurz darauf wiederholte - in einem Interview mit der »Welt«. Für ihn seien »beide, Macronismus wie Lepenismus, Horrorgestalten«, erklärte er dort und bezeichnete die »Unterwerfung unter die Banken, unter Deutschland, unter Europa« als bloß andere Seite jener Medaille, auf der auch die Entscheidung für den Rassismus stehe.
Todd hatte im ersten Wahlgang für den Kandidaten Jean-Luc Mélenchon gestimmt. Das taten andere, mehr oder weniger der Linken zugerechnete Autoren auch. Und doch tun sich himmelweite Unterschiede auf.
Édouard Louis etwa, der mit »En finir avec Eddy Bellegueule« für Furore gesorgt hatte, in dem es um sein Leben als schwuler Jugendlicher in der französischen Provinz geht, und um die Eltern, die rechtsradikal wählen. Louis hat darin wie Didier Eribon in seiner »Rückkehr nach Reims« das Versagen der Linken für den Aufstieg der Rechten mitverantwortlich gemacht - und in der ersten Runde zur Wahl Mélenchons aufgerufen. Anders als Todd, der nationalistisches Vokabular strapaziert, vom »Verrat Frankreichs« spricht und sich in der entscheidenden Runde der Stimme enthalten will, hat Louis vor ein paar Tagen im italienischen »Corriere della Sierra« dagegen dezidiert zur Wahl Macrons aufgerufen - und es als »großen Fehler« Mélenchons bezeichnet, auf ein solches, klares Plädoyer verzichtet zu haben.
Dabei hat Louis nichts von seiner Kritik an der politischen Linken zurückzunehmen, von der er sagt, sie habe seine Eltern »verlassen«, also einen Kurs verfolgt, der für die unteren Schichten, die Deklassierten und vom Abstieg Bedrohten keinen Vorteil mehr versprach. Ohne eine Abkehr vom Neoliberalismus, mit dieser Überlegung steht Louis nicht allein, werde auch die radikale Rechte weiter stärker - und damit nehme die Bedrohung für Minderheiten, für Mi-granten, für Andersdenkende, für die Demokratie immer mehr zu.
»Ich bin nicht besorgt wegen des Ausgangs dieser Wahl«, sagt der junge Autor zwar mit Blick auf den kommenden Sonntag. Aber ihm sei wirklich bange um das Ergebnis der darauffolgenden. Louis spricht hier nicht anders als Eribon, der vor der ersten Runde der Wahl vor einer Stimme für Macron mit den Worten warnte, damit werde dafür gesorgt, dass Le Pen in fünf Jahren gewinne. Eribon wiederum hatte sich scharf dagegen ausgesprochen, zu glauben, man könne auf den rechten Populismus mit linkem Populismus erfolgreich antworten. Mit Blick auf die auch von Mélenchon benutzte Rhetorik des »Volkes«, das »gegen die Oligarchie« und für »das Vaterland« stehe, sprach er von einer »sehr gefährlichen Art« zu denken: »Wenn du dieselben Konzepte benutzt wie deine Feinde, werden sie wahrscheinlich gewinnen«.
Anders als Eribon, der vor der ersten Wahlrunde sagte, die Wahrscheinlichkeit, dass Le Pen gewinnen werde, sei sehr gering, ist Laurent Binet da keineswegs so sicher. Der Autor, der mit »Die siebte Sprachfunktion« ein ebenso schlaues wie witziges Gemälde der französischen Intellektuellenszene der 1980er Jahre hingelegt hat, glaubt, »dass noch alles möglich ist und Marine Le Pen gewinnen kann, nicht zuletzt wegen der Nichtwähler«. Im Gespräch mit der »Frankfurter Allgemeinen« zog er dieser Tage denn auch Parallelen zur US-Wahl, bei der fast alle an einen Sieg von Hillary Clinton glaubten - und Donald Trump unterschätzten.
»Als ehemaliger Banker, als Liebling der Medien, als unbestrittener Favorit zieht er viel Unmut auf sich«, sagt Binet - und: »Deshalb werde ich auf jeden Fall Macron wählen, anders als viele meiner linken Freunde, die sich dazu nicht durchringen können.« Nicht aus Zustimmung zu Macron, sondern weil man die Politik immer dazu nutzen müsse, drohende Gewalt zu verhindern.
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