Die neue Theologie

Jürgen Amendt über das Primat der Ökonomen im Bereich Forschung und Innovation

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 2 Min.

Die Natur, schrieb der Philosoph Karl Marx in einem seiner Frühwerke, »ist der unorganische Leib des Menschen« und das »physische und geistige Leben des Menschen« hänge mit der Natur zusammen. Dieses Verhältnis zwischen Mensch und Natur habe keinen anderen Sinn als jenen, »daß die Natur mit sich selbst zusammenhängt, denn der Mensch ist Teil der Natur«.

Wissenschaft und Forschung sind demzufolge quasi gewandeltes und durch Gesellschaft bzw. Zivilisation vermitteltes Naturverhältnis. Und so, wie Natur nur als Ganzes existiert und niemals nur als einzelnes Phänomen, kann auch menschliche Wissenschaft nicht auf einen Teilbereich beschränkt werden. Von daher rührt auch der Gedanke, dass universitäre Ausbildung mehr sein muss als das Studieren eines Faches, einer Disziplin, einer Wissenschaft. In den höheren Schulen des Mittelalters wurde dieser Gedanke einer umfassenden Bildung als »Studium generale« bezeichnet.

Dieser »Blick über den Tellerrand« war noch vor einigen Jahrzehnten Bestandteil der universitären Ausbildung in Deutschland; heute gibt es nur noch wenige Universitäten, die entsprechende Lehrveranstaltungen anbieten, und an noch weniger Hochschulen ist die Teilnahme an solchen Seminaren bzw. Vorlesungen verpflichtend. Der eng getaktete Lehrplan gesteht Studienanfängern kaum noch zu, Lehrveranstaltungen außerhalb des gewählten Studienfaches zu belegen.

Die Folge sind nicht nur zum Teil isoliert voneinander lehrende und forschende Wissenschaftsdisziplinen; die ganze Symmetrie des Wissenschaftsbetriebs hat sich verändert. An der Spitze stehen heute die Wirtschaftswissenschaften und ihre meist neoliberal geprägte Lehre. Die Wirtschaftswissenschaften sind quasi die Nachfolger der Theologie, die im Mittelalter die Wissenschaft der Wissenschaft war. Dass im Vorstand des Expertengremiums, das die Politik im Bereich Forschung und Innovation beraten soll, ausschließlich Wirtschaftswissenschaftler sitzen, ist die traurige Konsequenz dieser Entwicklung.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -