Arbeiten für die Schublade

Die »Expertenkommission Forschung und Innovation« berät seit zehn Jahren die Politik. Doch wie erfolgreich sind die Innovationsberater wirklich? Von Manfred Ronzheimer

  • Manfred Ronzheimer
  • Lesedauer: 5 Min.

Wie wird Deutschland innovativer? Seit zehn Jahren bekommt die Bundesregierung auf diese Frage Antworten von der »Expertenkommission Forschung und Innovation« (EFI). Die sechs Wirtschaftsprofessoren stellen jedes Jahr das Bildungs- und Wissenschaftssystem wie auch die Innovationsanstrengungen der deutschen Wirtschaft auf den Prüfstand - und machen Vorschläge zur Verbesserung. Aber werden diese auch aufgegriffen und umgesetzt?

Wissenschaftliche Politikberatung ist ein Geschäft mit offenem Ausgang. Nicht alle Gutachten, die regierungsamtlich in Auftrag gegeben werden, entfalten eine praktische Wirkung. Der Risikoforscher Ortwin Renn, Mitglied der Ethikkommission zur Energiewende nach Fukushima, leitete vor einigen Jahren eine Kommission, die die Risikogesetzgebung in Deutschland modernisieren sollte. Zwei Jahre arbeiteten die Experten, formulierten progressive Vorschläge. »Doch die verschwanden dann ohne Konsequenz in der Schublade der Auftraggeber«, blickt Renn zurück. Den Grund dafür sieht er in den unterschiedlichen Erwartungen der beiden Seiten: Die Politikberater wollten besten Sachverstand und moderne rationale Gesetze liefern. »Aber der Politik lag nur an der Legitimation ihrer bisherigen Praxis.« In allen Fällen derartiger Divergenz scheitert Politikberatung.

Für seinen Bereich, Forschung und Innovation (FuI), blickt der Leiter der EFI-Kommission, der Ökonom Dietmar Harhoff, Professor am Münchner Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb, relativ zufrieden auf das vergangene Jahrzehnt zurück. Es sei nicht zu übersehen, dass in den zehn Jahren »wichtige Erfolge in der FuI-Politik« erzielt worden seien. Dazu zähle etwa die Erhöhung der Ausgaben für FuI auf einen Anteil von jetzt drei Prozent am Bruttoinlandsprodukt. Die rund 90 Milliarden Euro werden zu zwei Dritteln von den forschungsintensiven Unternehmen und zu einem Drittel von staatlichen Wissenschaftseinrichtungen erbracht. Als nächstes Schwellenziel wird für 2025 ein Anteil von 3,5 Prozent angepeilt. Damit hätte sich Deutschland in der Spitzengruppen der innovativsten Nationen etabliert.

Vor dem Hintergrund des wachsenden internationalen Wettbewerbs betont Harhoff: »Die deutsche FuI-Politik muss daher konsequent weiterentwickelt werden.« Schwerpunkte der Empfehlungen 2017 sind die öffentlich geförderte Forschung, der Transfer von Wissen und die Förderung von Entrepreneurship, der neuen Gründungskultur in Hochschulen, der digitale Wandel in vielen Bereichen sowie eine bessere »Governance«, ein verbessertes Verwaltungshandeln: »Der Staat muss mit gutem Beispiel vorangehen.«

Nach Einschätzung Harhoffs hat gut Viertel der EFI-Empfehlungen auch die von den Experten gewünschte Umsetzung in Politik und Verwaltung erfahren. Ein weiteres Viertel gehöre zur Rubrik der »dicken Bretter«, die - wie die steuerliche Forschungsförderung - immer wieder thematisiert und kontinuierlich bearbeitet werden müssen, bis sich ein Erfolg einstellt.

Zuweilen bleibt dieser aber ganz aus. So begleitete die EFI-Kommission in den letzten Jahren durchaus kritisch die Kernfusionsforschung, die sich Deutschland pro Jahr 150 Millionen Euro kosten lässt. Nachdem die Kommission schon 2011 ein »schwerwiegendes Managementversagen« beim Bau des Fusionsreaktors Iter bemängelt hatte, verlangten die EFI-Experten im Folgejahr, dass »vor dem Hintergrund der Energiewende die Schwerpunktsetzung im Bereich der Kernfusion überprüft werden« sollte. Begründung: Es sei nicht nötig, in Deutschland zwei unterschiedliche Technologiekonzepte der Kernfusion (Tokamak und Stellarator) zu verfolgen. Auch die nukleare Transmutationsforschung, wie sie am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) betrieben werde, sei auf ihre Relevanz zu prüfen.

Der Vorschlag blieb indes ebenso ohne Wirkung wie eine andere Empfehlung in Richtung einer »administrativen Fusion«, mit dem sich die EFI-Gutachter in die Debatte über die Energiewende einschalteten. »Die Fragmentierung der Zuständigkeiten für die Energieforschung in Deutschland ist bizarr«, bemängelten die Gutachter. Auch bei der Umsetzung der Energiewende im Bereich der Wirtschafts- und Umweltpolitik sei eine »stärkere Koordination und Bündelung« vonnöten. Statt eines vereinigten Energieministeriums schlug die EFI-Kommision die Bildung einer »nationalen Plattform für die Energiewende« vor. An ihr sollten nicht nur die zuständigen Ressorts des Bundes, sondern auch Vertreter der Bundesländer und wichtiger Unternehmen mitwirken. Auch diese Anregung verpuffte in der Intention, fand aber über mehrere Ecken indirekten Eingang in die großen »Kopernikus«-Projekte des Bundesforschungsministeriums, in denen für 400 Millionen Euro die Energiewende-Forschung gebündelt wurde.

Steter Tropfen höhlt den Stein. Der zentrale Motivationsspruch für Innovateure gilt auch für Innovationspolitiker. Beispiel: Steuerliche Forschungsförderung. »Wir haben viele Anregungen aufgegriffen, auch wenn es immer noch Dinge gibt, die Sie uns schon mehrfach vorgeschlagen haben und die nicht umgesetzt worden sind«, bekannte Bundeskanzlerin Angela Merkel bei der Entgegennahme des Gutachtens 2017 im Februar. »Dazu gehört die steuerliche Forschungsförderung«. Schon damals verbarg die Regierungschefin nicht ihre Meinung, dass es »guten Grund dafür gibt, in diese Richtung doch etwas zu machen«. Eine Kontra-Position zum Bundesfinanzminister, der sich seit zehn Jahren jeglicher Form von Steuergutschrift für innovative Unternehmen in den Weg gestellt hatte. Inzwischen ist Wolfgang Schäuble selbst von seiner Blockade-Haltung abgerückt, und Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries hat das EFI-Modell der steuerlichen FuE-Förderung vor wenigen Wochen in ihre neue »Innovationsagenda« übernommen. Das Ceterum Censeo der Innovationsberater wurde endlich erhört. Die steuerliche Forschungsförderung, erklärt Harhoff, sei bei kluger Ausgestaltung »ein effektives Instrument zur Schaffung von Anreizen für die Forschung«. Sie werde bereits von der großen Mehrheit der 35 OECD-Staaten praktiziert.

Für die Zukunft wünscht die EFI-Kommission eine stärkere Berücksichtigung sozialer Aspekte in der Innovationspolitik. So verlangt sie nicht nur wiederholt eine stärkere Förderung »sozialer Innovationen«, die nicht in Techniklabors, sondern an gesellschaftlichen Experimentierorten - wie etwa »Zukunftswerkstätten« - ausgebrütet werden. Ganz neu taucht im Gutachten 2017 erstmals der Aspekt »Gerechte Teilhabe« auf. »Die FuI-Politik muss sich der Frage stellen, ob Innovationsprozesse wie der digitale Umbruch zunehmend Ungleichheit erzeugen«, erklärt Dietmar Harhoff die neue Denkrichtung. »Ohne geeignete Einbeziehung der Bevölkerung und eine Sicherung gerechter Teilhabe drohen auch Wissenschaft und Innovation wachsende Skepsis.«

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