Der unbekannte Flüchtling
Sächsische Wissenschaftler stoßen bei Integrationsstudie auf viele Probleme
Die Erkenntnisse klingen eigentlich gut. Flüchtlinge fühlen sich in Sachsen überwiegend willkommen; viele von ihnen haben regelmäßig Kontakt zu Einheimischen; die meisten von ihnen sehen Frauen als gleichberechtigt an und halten es auch für wünschenswert, in einem demokratisch regierten Land zu leben. Das sind zentrale Aussagen einer Studie, die Wissenschaftler von drei sächsischen Universitäten jetzt vorgestellt haben und die den Schluss zulässt, dass das Bemühen um Integration nicht vor unüberwindbaren Problemen steht.
Die Politik hat auf diese und weitere Erkenntnisse der Untersuchung gewartet. Sie könnten Basis für fundierte Entscheidungen in einem Bereich sein, in dem man bisher oft noch »experimentell unterwegs« sei, wie Sachsens Wissenschaftsministerin Eva-Maria Stange (SPD) einräumt. So sei etwa ungeklärt, wie sich Sprach- und Integrationskurse auswirken, die der Freistaat großzügiger als der Bund gewährt. Auch für die öffentliche Debatte sei Wissen dazu nützlich, wer aus welchen Gründen und mit welchen Einstellungen in die Bundesrepublik kommt: »Wir wollen mit Fakten und nicht nur mit Annahmen und Vermutungen arbeiten«, sagt Stange. Das deckt sich mit der Absicht der Forscher, die für ein »heißes Thema« belastbares Material bereitstellen wollen, sagt der Leipziger Religionswissenschaftler Gerd Pickel, der an der Studie mitgearbeitet hat. Diese ist quasi das erste »Produkt« eines im Juni 2016 gegründeten Netzwerks, das zu Integration, Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus forschen soll.
Allerdings sind die Ergebnisse bisher nur bedingt aussagekräftig. Ein Hauptproblem: Für die Studie wurden zwischen Oktober und Dezember 2016 lediglich 61 Menschen befragt, die zudem allesamt in Gemeinschaftsunterkünften lebten. Die Fragen zu politischen Einstellungen beantworteten teils sogar weniger als 40 Teilnehmer. Es handle sich um einen nicht repräsentativen »Pre-Test«, räumt Antje Röder von der TU Chemnitz ein. Schon dieser war mit enormem Aufwand verbunden. Für Fragebögen und Interviews wurden Übersetzer benötigt. Zudem sei es mühsam, Flüchtlingen das Vertrauen zu vermitteln, dass Antworten in diesem Fall – anders als gegenüber Behörden – nicht über Bleiberecht oder Abschiebung entscheiden. Dennoch ist unklar, wie ehrlich die Antworten ausfielen. Besonders das Thema Politik habe sich als heikel erwiesen, sagt Röder: »Wir vermuten, dass darüber in den Herkunftsländern nicht offen gesprochen werden kann.«
Für eine repräsentative Erhebung wäre nicht nur der personelle und finanzielle Aufwand ungleich höher; es müssten auch andere Hürden überwunden werden. So bräuchte man Daten darüber, wie sich die Gesamtheit der Flüchtlinge zusammensetze: Frauenanteil, Herkunftsländer, religiöse Bindung. Diese werden beim Bundesamt für Migration (BAMF) erhoben, aber Forschern offenbar nicht sehr bereitwillig zur Verfügung gestellt: »Der Zugang ist sehr erschwert«, sagt Oliver Decker, der ebenfalls an der Uni Leipzig forscht. Nicht auf offene Ohren stießen die Wissenschaftler auch bei den Behörden und Heimbetreibern im ländlichen Raum, sodass bisher nur Flüchtlinge befragt werden konnten, die in Dresden, Leipzig und Chemnitz untergebracht sind. Als aufwendig sehen es die Forscher zudem an, Zugang zu dezentralen Unterkünften zu bekommen, wo aber viele Familien untergebracht sind. Die bisherigen Antworten stammen überwiegend von jungen Männern.
Dafür freilich fielen die Ergebnisse gar nicht so schlecht aus, sagt Eva-Maria Stange – und verweist auf Befragungen unter jungen deutschen Männern, etwa im Rahmen des »Sachsen-Monitors 2016«. Dabei waren erschreckend große Vorbehalte gegenüber der Demokratie deutlich geworden. Das Ausmaß homophober Einstellungen unter jungen Sachsen steht demnach kaum hinter dem unter jungen muslimischen Flüchtlingen zurück. Integrationsbemühungen, sagt denn auch Oliver Decker, »braucht es in beide Richtungen«.
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