Das letzte Wort behält die Kommission
Auch mit dem Urteil des EU-Gerichts bleiben Europäische Bürgerinitiativen zu schwach, um die Politik der EU wirklich zu ändern
Es ist eine Genugtuung für die Gegner der EU-Handelspolitik, in der Sache jedoch fast egal, dass der Europäische Gerichtshof nun den Beschluss der Kommission im Jahr 2014, die Europäische Bürgerinitiative (EBI) »Stop TTIP« nicht anzuerkennen, für »nichtig« erklärte. Die Organisatoren waren seinerzeit klug beraten, dennoch damit zu beginnen, Unterschriften gegen die Freihandelsabkommen TTIP und CETA zu sammeln. Mit europaweit 3,5 Millionen Unterstützern haben sie so auch ohne offizielle Anerkennung das erreicht, was sie als EBI hätten erreichen können: ordentlich Welle machen und die politisch Verantwortlichen in Bedrängnis bringen, ja, sie sogar zu Änderungen zwingen. Bedeutsam ist die Entscheidung der Europäischen Richter dennoch: für alle weiteren Freihandelsabkommen und für die Demokratie in Europa.
»Das ist nicht nur eine schallende Ohrfeige für die EU-Kommission, sondern auch ein Meilenstein bei der Stärkung der Bürgerbeteiligung in der EU«, sagte der BUND-Handelsexperte Ernst-Christoph Stolper. Anders als von der Kommission unter Jean-Claude Juncker behauptet, dürfen Europäische Bürgerinitiativen auch darauf zielen, »einen Rechtsakt zu verhindern«, und sich zu laufenden Verhandlungen und nicht nur zu abgeschlossenen internationalen Verträgen äußern.
Die Luxemburger Richter nutzten die Chance, um ein positives Signal an die EU-müden Unionsbürger auszusenden: Auch ihr kommt zu eurem Recht, die mächtige Kommission darf nicht alles. Explizit bekräftigen sie den Anspruch, dass die Bürger eingeladen sind, »am demokratischen Leben in der Union« mitzuwirken.
Aber auch die EU-Richter müssen sich Fragen stellen lassen: Zweieinhalb Jahre ließen sie sich Zeit für die Entscheidung. Zeit, in der die Kommission ihre Verhandlungen mit den USA und Kanada weiter verfolgte. »Es braucht dringend eine klare und kurze Frist, in der der EuGH über eine abgelehnte EBI zu entscheiden hat«, fordert denn auch Michael Efler, Vorstandsmitglied von »Mehr Demokratie« und Kläger für die »Stop-TTIP«-Kampagne. Selbst wenn die EBI nun zugelassen ist - eine Wiederholung der Unterschriftensammlung macht wenig Sinn: TTIP liegt auf Eis, CETA ist beschlossen und weg von der EU-Bühne. Aus den Reihen der TTIP-Gegner wird deshalb die Forderung laut, gleichsam als Entschädigung, der Initiative eine Stellungnahme und ein Hearing im Europäischen Parlament zu ermöglichen.
TTIP ist längst nicht die einzige Initiative, die von der Kommission vom Tisch gewischt wurde. Die Erfahrungen nach fünf Jahren sind ernüchternd: Von insgesamt 55 seit 2012 gestarteten EBIs wurden 20 für unzulässig erklärt. Erst drei waren erfolgreich, was jedoch lediglich heißt, dass sie die Anforderungen erfüllt haben - mindestens eine Million Unterschriften aus mindestens einem Viertel der Mitgliedstaaten innerhalb eines Jahres.
Keine einzige EBI hat nach ihrem Abschluss bisher zu einer Änderung der Gesetzgebung geführt. Es gab aber einen Erfolg: Während die Initiative »Wasser ist ein Menschenrecht« auf dem besten Wege war, die geforderten Unterschriften zu erreichen, schwächte die Kommission ihre Pläne zur Liberalisierung der Wasserversorgung ab. In der Gesamtschau bleibt das reichlich wenig. »Einen ernsthaften Politikwechsel konnten Europäische Bürgerinitiativen nicht auf den Weg bringen«, stellt Michael Efler von »Mehr Demokratie« gegenüber »nd« trocken fest. Denn gebunden ist die Kommission an das Bürgervotum nicht, sie muss sich lediglich mit dem Anliegen befassen und dazu Stellung nehmen.
»Mehr Demokratie« kämpft deshalb seit Jahren für die Einführung von Volksentscheiden, auf nationaler wie europäischer Ebene. Die EBI in ihrer Unverbindlichkeit war nie mehr als ein Kompromiss, mit dem jedoch die Hoffnung verbunden war, dass sie zur Entstehung eine europäischen Öffentlichkeit beitragen könnte und die Bürger tatsächlich Einfluss auf die »fernen EU-Institutionen« bekommen. Punktuell wird sie das vielleicht auch, meint Efler heute. »Aber so lange die europäische Zivilgesellschaft nicht sieht, dass sie Politik tatsächlich verändern kann, bleibt das Instrument zu begrenzt.« Die Zahl der neu gestarteten EBIs hat deutlich abgenommen, der anfängliche Enthusiasmus ist längst verflogen.
Dennoch laufen derzeit einige Initiativen, erfolgversprechend eine Bürgerinitiative zum Verbot von Glyphosat. Sie dürfte das geforderte Quorum mit großer Wahrscheinlichkeit erreichen. Die Unterstützer fürchten allerdings, dass die EU bis zu ihrem Abschluss im Januar 2018 dem Ruf der Lobbymächte gefolgt sein könnte. Pestizidproduzenten wie Monsanto wollen in diesem Jahr alles daran setzen, die kurzfristige Zulassung für 18 Monate auf 10 bis 15 Jahre zu verlängern.
Änderungsbedarf ist offenkundig. Das Europaparlament forderte die Kommission bereits vor zwei Jahren auf, die EBI zu reformieren. Eine Mehrheit verzichtete jedoch seinerzeit darauf, Forderungen aufzunehmen, dass die Bürger auch Initiativen zu Verhandlungsmandaten für internationale Verträge starten sowie Änderungen der EU-Verträge vorschlagen dürfen. Ersteres wurde nun höchstrichterlich festgehalten. Letzteres steht aus.
Echten Einfluss würden die Bürger aber auch damit nicht bekommen. Selbst wenn EBIs künftig Vertragsänderungen fordern könnten, es bliebe dabei: Die Kommission hat das letzte Wort. Sie entscheidet, ob sie eine Initiative ans Europaparlament weiterreichen will. Selbst Millionen Unterschriften von EU-Bürgern sind letztlich nicht mehr als eine unverbindliche Bitte. Eine gute Zwischenlösung wäre aus Sicht von Michael Efler, »den doppelten Filter« abzuschaffen. Statt an die EU-Kommission sollten die Bürger mit einer EBI direkt an Parlament und Ministerrat herantreten können.
Es ist nicht zu erwarten, dass sich die Kommission solchen weiter gehenden Ideen anschließen wird. Etwas ändern will aber auch sie. Kommissions-Vize Frans Timmermans kündigte im April überraschend an, die EBI zu einem »bürgerfreundlichen und lebendigen Instrument« umzugestalten und stellte dafür eine öffentliche Konsultation in Aussicht. Die Zivilgesellschaft wartet mit Spannung, was dabei konkret herauskommt: »Die EU-Kommission hat jetzt die Chance zu beweisen, dass sie den Bürgereinfluss auf EU-Ebene tatsächlich stärken will, anstatt weiterhin unbequemen Initiativen Steine in den Weg zu legen«, betont Michael Efler.
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