F_antifaschistische Harmonie

Mehrere hundert Aktivist_innen trafen sich zu einem feministischen Antifa-Kongress in Potsdam

  • Marie Frank, Potsdam
  • Lesedauer: 6 Min.

Der Regen prasselt leise auf die Vordächer des »freiLand«, einem Kulturzentrum ganz in der Nähe des Potsdamer Hauptbahnhofs. Bereits von Weitem ist der Veranstaltungsort des »F_Antifa«-Kongresses gut zu erkennen: Inmitten schicker Neubauten hebt sich das 12.000 Quadratmeter große Gelände mit seinen bunten Häusern und seinem Bauwagenplatz von der gutbürgerlichen Kleinstadtidylle ab. Am Eingang ein Schild: »Kein Zutritt für Nazis«. Es ist pink, das ist aber auch schon der einzige Hinweis auf den hier stattfindenden Kongress.

Unter dem Motto »Antifaschismus ohne Feminismus wird nix. Feminismus ohne Antifaschismus läuft nicht« lud eine lose Gruppe antifaschistischer Aktivist*innen am vergangenen Wochenende dazu ein, gemeinsam einen feministischen Blick sowohl auf gesellschaftliche und staatliche als auch auf die eigenen Strukturen zu werfen und zu diskutieren. F_Antifa, das steht für feministische Antifa, die Idee: Queer-feministische Ansprüche als Selbstverständlichkeit in die Räume tragen, in denen man politisch aktiv ist. Neben theoretischen Grundlagen sollte es vor allem darum gehen, Feminismus und Antifaschismus zusammenzubringen, um Patriarchat, Rassismus und Kapitalismus etwas entgegenzusetzen.

In einem kleinen Raum sitzen etwa 35 Menschen in einem gemütlichen Gesprächskreis und diskutieren über die neuesten Gesetzesverschärfungen. Es sind hauptsächlich junge Leute, überwiegend schwarz gekleidet. Soweit nichts ungewöhnliches, ein ganz normales Antifa-Gruppentreffen könnte man meinen. Doch etwas ist anders: Es sind überwiegend Frauen, die hier diskutieren. Die Stimmung ist entspannt, in ruhigem Tonfall informieren zwei Aktivist_innen über die aktuelle Gesetzeslage und was sie für politisch Engagierte bedeutet. Neben allgemeinen Fragen wie jener nach der Notwendigkeit, auf Demonstrationen seinen Ausweis mitzunehmen und den Möglichkeiten widerständiger Praktiken für Menschen ohne Pass oder gar Aufenthaltsrecht, geht es auch um konkrete Vorhaben wie die Ausweitung der Kameraüberwachung oder den Fortschritt bei Gesichtserkennungssoftware.

Besondere Sorgen bereiten den Aktivist_innen Paragraf 113 »Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte« und die neu geschaffenen Paragrafen 114 und 115 StGB, nach denen ein vermeintlicher »tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte« oder »Personen, die Vollstreckungsbeamten gleichstehen,« künftig mit mindestens drei Monaten Gefängnis bestraft wird. Es werden Fragen erörtert wie: Wo fängt legitimer Widerstand gegen Polizist_innen an? Ab wann ist es ein Angriff? Und wer definiert das überhaupt? Trotz des ernsten Themas ist die Stimmung gut, ab und zu streuen die Referent_innen persönliche Anekdoten oder kleine Witze ein, damit es angesichts der bedrückenden Gesetzeslage auch so bleibt.

Eine Tür weiter geht es nicht minder ernst zur Sache. »How open are my political structures to refugees women?« (Wie offen sind meine politischen Strukturen für geflüchtete Frauen?), fragen die Aktivist_innen der Flüchtlingsfrauen-Initiative »women in exile«. In dem Raum ist es stickig, da helfen auch die geöffneten Fenster nicht viel. Das könnte daran liegen, dass der Seminarraum aus allen Nähten platzt: Fast 50 Menschen sind hier versammelt, einige müssen auf dem Boden sitzen. Das Interesse an den angebotenen Workshops ist groß, manchmal so stark, dass nicht alle teilnehmen können. Doch auch hier bleibt die Stimmung entspannt, die Teilnehmer_innen machen unter sich aus, wer bleiben darf und wer geht. Die Frage nach dem Zugang von Flüchtlingsfrauen zu Antifa-Strukturen können sich die Teilnehmer_innen, die keinen Platz gefunden haben, mit einem Blick auf die Zusammensetzung der Kongressteilnehmer_innen ohnehin selbst beantworten.

Diejenigen, die keinen Platz gefunden haben, verteilen sich auf dem riesigen Gelände. Es gibt ein »Kidsbarrio«, eine Ecke, in der man Briefe an Gefangene schreiben kann, und mehrere Gebäude voller bunter Graffiti. Der Graffiti-Workshop trägt sein Übriges dazu bei. Auch abseits der Seminare wird fleißig diskutiert, überall auf dem Hof sitzen kleine Grüppchen, diskutieren, lachen oder spielen Karten. Selbst der immer wieder einsetzende Regen tut der angeregten Stimmung keinen Abbruch. Um eins gibt es Mittagessen, Linseneintopf mit Salat und Brot, das Abspülen übernimmt jede_r für sich.

An dem anschließenden Vortrag über »F_Antifaschistische Perspektiven jüdischen Lebens und Geschichte außerhalb der Shoa und israelischer Staatskritik« nimmt dann gefühlt die Hälfte der Kongressbesucher_innen teil, die andere Hälfte dürfte sich in dem Workshop zu »kritischen Männlichkeit*en« befinden. Obwohl der Raum diesmal größer ist, sitzen die Besucher_innen Schulter an Schulter. Als es losgeht, haben um die 70 Menschen Platz gefunden. Die Vortragende erzählt zunächst etwas über sich selbst. Schließlich sei es bei diesem Thema enorm wichtig, transparent zu machen, aus welcher Perspektive gesprochen wird. Sie ist eine schweizerische Jüdin, nicht religiös, trans*, Anarchistin.

Es folgen einige Fakten über die verschiedenen Gruppen und Sprachen innerhalb des Judentums, bevor es um »Trans* in der Tora« geht. Viele Zuhörer_innen zeigen überrascht zu hören, dass die Tora sage und schreibe sechs unterschiedliche Geschlechtsidentitäten kennt. Dies bedeute jedoch nicht, dass Juden und Jüdinnen toleranter gegenüber Transmenschen seien als andere, betont die Referentin. Da ihr Großvater ein Ausschwitz-Überlebender und zudem Antizionist war, ist es ihr dann doch ein Anliegen, auch darüber zu sprechen. Antizionismus sei auch bei Jüdinnen und Juden verbreitet, insbesondere in streng orthodoxen oder in anarchistischen Kreisen – mit völlig unterschiedlichen Ausgangspunkten und Zielsetzungen selbstverständlich.

Die Luft ist zum Schneiden, doch die Menschen hängen wie gebannt an den Lippen der Vortragenden – zumindest die, die aufgrund des Sauerstoffmangels noch nicht eingeschlafen sind. Trotz des sensiblen Themas bleiben hitzige Diskussionen aus, die Referentin ist darüber sichtlich erleichtert, als sie mit dem Fazit schließt, dass jüdische Stimmen oftmals nicht gehört werden und es zu oft Veranstaltungen über Antisemitismus ohne die Beteiligung jüdischer Menschen gebe. Auch innerhalb der linken Szene seien es meist nicht-jüdische Menschen, die definierten, was antisemitisch sei und was innerhalb der linken Szene gesagt werden dürfe und was nicht. Damit ist dann auch die Frage: Staatskritik von nicht-jüdischen Menschen an Israel – antisemitisch oder nicht? angesprochen. Für die Referentin ist klar: das Versteifen auf die Staatskritik an Israel ist ebenso antisemitisch wie das automatische Einnehmen einer Schutzposition. Sie habe das Privileg, sagen zu können: »Ich als Anarchistin finde alle Staaten scheiße und das gilt auch für Israel.« Es mache jedoch einen Unterschied, ob das jüdische- oder nicht-jüdische Menschen sagen würden.

Der Kongress endet an diesem Tag mit einem Workshop über »Kulturelle Aneignung« – noch so ein heikles Thema, das in der Linken oft zu hitzigen Diskussionen führt. Auch hier ist der Andrang groß. Es werden Audio- und Bildaufnahmen gezeigt, die den Teilnehmenden spiegeln, wie sehr sie unterbewusst kulturelle Komponenten aus anderen, unterdrückten Kulturkreisen für den eigenen, dominanten vereinnahmen. Es geht um die spezifische Machtdynamik, die damit verbunden ist, um eine Sensibilisierung im Alltag sowie das Hinterfragen des eigenen Wissens.

So werden zwei Bilder afrikanischer Königinnen gezeigt, die im Ägyptischen Museum ausgestellt sind. Die eine ist allen Anwesenden unbekannt, die andere kennt jede_r. Warum? Weil Nofretete in allen ihren Abbildungen wie eine Europäerin dargestellt wird und die andere eben nicht. Um in den westlich-kapitalistischen Bildungskanon aufgenommen zu werden, muss man eben weiß sein, heißt es. Wer nicht weiß ist, wird einfach weiß gemacht, man schaue sich nur die Abbildungen von Jesus an. Diskussionen über Fragen wie »Ist es schon kulturelle Vereinnahmung, wenn weiße Menschen Dreadlocks tragen?« bleiben aus, die Atmosphäre ist konzentriert und produktiv - so wie am gesamten Wochenende. Daran gemessen scheinen die Veranstalter_innen nicht ganz Unrecht zu haben mit ihrem Slogan: »Vor jede Antifa gehört ein fettes F!«.

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