Denkmal für die Opfer

Im Kino: Doku zum NSU

  • Sabine Dobel
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Tatorte, in Schwarz-Weiß. Viel Zeitlupe. Lange Passagen nur von Musik getragen. Während im Münchner NSU-Prozess Plädoyers und Urteile näher rücken, befasst sich Regisseur Sobo Swobodnik in seiner Doku »6 Jahre, 7 Monate und 16 Tage« filmisch nochmals mit den Taten.

Der Streifen, der am 18. Mai wenige Tage nach dem vierten Jahrestag des Prozessbeginns in die Kinos kommt, erzählt die Geschichten der Opfer, zitiert Aussagen von Angehörigen und zeigt dabei auch die eine oder andere Facette in der Persönlichkeit der Ermordeten. Diese lebten teils seit Jahrzehnten in Deutschland und verdienten ihren Lebensunterhalt als Schneider, Gemüsehändler, Schlüsseldienst- oder Imbissbudenbetreiber.

6 Jahre, 7 Monate und 16 Tage vergingen vom ersten Mord an dem Blumenhändler Enver Simsek bis zur Ermordung der Polizistin Michèle Kiesewetter in Heilbronn. Der Film seziert die Taten, beschreibt dezidiert die Verletzungen der neun türkisch- und griechischstämmigen Opfer und der deutschen Polizistin. Und er erinnert an das Martyrium, das Angehörige teils nach dem Tod ihrer Liebsten durch falsche Verdächtigungen erlitten.

Semiya Simsek, Tochter des ersten Opfers, berichtet, die Ermittler hätten ihrer Mutter das Bild einer blonden Frau gezeigt, die angebliche Geliebte des Vaters - »um das Vertrauen in der Familie zu zerstören«. »Meine Mutter ist natürlich auf den Trick nicht reingefallen.«

Angehörige mussten Speichelproben abgeben, die Ermordeten wurden in die Nähe von Drogenhandel, Mafia, illegalen Wetten gerückt. Das Wort »Dönermorde« verschwand erst aus der Berichterstattung, als der rechtsextreme Hintergrund der Taten erwiesen war. Untersuchungsausschüsse hatten versucht, das Versagen der Behörden bei den Ermittlungen aufzuklären. Bis heute ist unklar, was gut bezahlte V-Männer aus der rechten Szene wussten. Als Halit Yozgat am 6. April 2006 in seinem Kasseler Internetcafé erschossen wurde, war ein Mitarbeiter der hessischen Verfassungsschutzes im Nebenraum. Laut Ermittlungen offenbar Zufall.

Swobodnik zeigt die Tatorte. Autos und Fußgänger versetzt er in Zeitlupe und lässt die Bilder oft lange stehen, nur untermalt von der Komposition des Berliners Elias Gottstein: elektronische Musik mit Saiteninstrumenten, darunter eine Bağlama, eine türkische Laute. Auf dem Internationalen Dokumentarfilmfestival München erhielt der Streifen den Dokumentarfilmmusikpreis 2017.

Die Aussagen und Zitate stammen allesamt aus Medienmeldungen, Ermittlungsprotokollen oder Prozessaussagen; Schauspieler des Berliner Ensembles sprechen sie. Eigene Recherche mit neuen Fakten bietet der Film nicht. Aber er erinnert. Über die Jahre sind Details in Vergessenheit geraten, die Opfer und ihr Schicksal aus dem Rampenlicht der Öffentlichkeit verschwunden.

»Die Neonazis haben das geschafft: Ich fühle mich fremd im eigenen Land«, sagt die Tochter des in Nürnberg ermordeten Dönerladeninhabers İsmail Yaşar. Die Schwester des Hamburger Gemüsehändlers Süleyman Taşköprü erzählt, sie habe mit ihrem Bruder einst gealbert, wer zuerst sterbe: »Ich will Aufklärung. Nicht Beileid.« dpa/nd

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