Türsteher will Premierminister werden

Der alte UCK-Klüngel dominiert die vorgezogenen Parlamentswahlen in Kosovo

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.

Dass die Welt aus dem Bundestag heraus betrachtet oft nichts mit der realen zu tun hat, ist eine banale Erkenntnis. Die fand Ende vergangener Woche erneut Bestätigung, als es um die Verlängerung des Bundeswehreinsatzes in Kosovo ging. Verteidigungsstaatssekretär Ralf Brauksiepe (CDU) sprach von einer Verbesserung der Lage, die dem gemeinsamen Engagement von NATO, Europäischer Union und UNO zu danken sei. Dennoch: KFOR sei fähig, auf »signifikante Lageänderungen« angemessen zu reagieren.

Das ist nicht nur so dahingesagt. Derzeit schaukelt sich die politische Situation wieder einmal hoch. Zuerst gab es rüde Pöbeleien und Tränengas im Parlament, dann ein Misstrauensvotum gegen die 2014 gebildete Koalitionsregierung, bei dem die stärkste regierende Kraft, die Demokratischen Partei (PDK), plötzlich kleinere Oppositionsparteien unterstützte. Grund war eine unter EU-Vermittlung erreichte Organisation serbischer Gemeinden. Auch die anstehende Ratifizierung eines Grenzabkommens mit Montenegro schmeckte den Hardlinern nicht, obwohl die eine Voraussetzung ist, damit die EU ihre Visapflicht für Bürger aus Kosovo aufhebt.

Politiker wechseln derzeit ihre Parteizugehörigkeiten wie die Unterwäsche. Für die Wahlen im Juni bildeten sich neue Wahlbündnisse. Die PDK ist mit der Allianz für die Zukunft (AAK) und der »Nisma«-Initiative zusammengegangen. Dem Dreier-Wahlbündnis, das gute Chancen auf den ersten Platz hat, schlossen sich zehn kleinere Gruppierungen an.

Der bisherige Koalitionspartner der PDK, die Demokratische Liga (LDK) des gestürzten Ministerpräsidenten Isa Mustafa, tritt jetzt zusammen mit der Allianz für ein Neues Kosovo (AKR) an, die dem Milliardär Behgjet Pacolli »gehört«. Dem Bündnis angeschlossen hat sich »Alternativa«, eine kleine Partei von Mimoza Kusari-Lila. Die 42-Jährige ist Bürgermeisterin der Stadt Gjakova, die von den Serben Djakovica genannt wird.

Doch der Sieg wird dem Bündnis von PDK, AAK und »Nisma« gehören. Die Truppe hinterlässt nicht nur den Eindruck ungenierter und vor allem gnadenlose Klüngelei. Kopf ist Staatspräsident Hashim Thaçi. Er, Fatmir Limaj und Ramush Haradinaj haben ihre Sturmtruppen gesammelt, um die Macht in Kosovo »demokratisch« weiter an sich zu binden. Sie kümmert nicht um das, was man im Ausland redet, denn ihr Ruf ist ruiniert, nicht erst seitdem sie die Kosovo-Befreiungsarmee (UCK) kommandierten. Dieses Truppe kämpfte in den 90er Jahren gegen das Milosevic-Regime in Belgrad und wurde massiv von der NATO unterstützt. Allen voran bahnte Deutschland Wege zur Lostrennung der Provinz von Serbien.

»Nisma« wird von Fatmir Limaj geführt. Sein UCK-Kampfname lautete Çeliku (der Stählerne). Der Rechtsgelehrte war bereits Chef im Ministerium für Transport und Telekommunikation. Man warf ihm Kriegsverbrechen vor, als es zum Prozess vor dem UN-Tribunal in Den Haag kam, erinnerten sich die Zeugen nicht mehr so genau.

Die AAK wird von einem Ramush Haradinaj geführt. Der war zwischen Dezember 2004 und März 2005, als der Kosovo noch unter UNO-Verwaltung stand, Ministerpräsident. Nach der kommenden Wahl ist ihm dieses Amt erneut versprochen. Haradinaj hat in den 90er Jahren, also bevor er zum UCK-Helden wurde, in der Schweiz als Türsteher gearbeitet. Zu jener Zeit fühlte sich auch der Student Thaçi bei den Eidgenossen bestens aufgehoben. Denn sie ließen ihn bei seinen Drogen- und Waffengeschäften gewähren. Mit Sicherheit hat der Schweizer Nachrichtendienst dicke Dossiers über die Beiden.

Thaçi - so ergaben Ermittlungen der EU schon vor Jahren - soll als Sicherheitschef der UCK zugleich Chef einer Bande gewesen sein, die Gefangenen Organe entnehmen ließ, um sie auf dem internationalen Schwarzmarkt zu verkaufen. Doch der Staatspräsident wurde dafür nie vor dem Kriegsverbrechertribunal angeklagt.

Anders Haradinaj. Der stand zweimal vor diesem UNO-Rechtsgremium. 2008 beschuldigte ihn Belgard, serbische Zivilisten entführt, gefoltert und getötet zu haben. Zeugen zitterten, statt auszusagen. Das Gericht ordnete eine Neuaufnahme des Verfahrens an, doch der Freispruch wurde 2012 bestätigt. Während der beiden Prozesse kamen 19 potenzielle Zeugen ums Leben.

Wegen eines weiteren Haftbefehls war Haradinaj im Juni 2015 in Slowenien inhaftiert, um alsbald wieder ein freier Mann zu sein. Im Januar dieses Jahres verhaftete man ihn auf dem Flughafen Basel-Mülhausen. Wie die Geschichte ausging, dürfte klar sein.

Übrigens: Der EU wird es recht sein, dass Haradinaj sich nicht um eine Aufhebung der Visapflicht für Kosovos Bürger bemüht. Warum auch? Er und seine Frau erhielten jüngst vom Präsidenten in Tirana höchstselbst die albanische Staatsbürgerschaft zugesprochen. Damit profitiert die Familie problemlos von der Visafreiheit, die Albanien mit der EU vereinbart hat.

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