Aus den Trümmern kroch Berlusconi
Italien: Der Mord an Richter Falcone vor 25 Jahren läutete das Ende einer Ära ein
An diesem 23. Mai jährt sich zum 25. Mal der Bombenanschlag von Capaci, dem der Anti-Mafia-Richter Giovanni Falcone, seine Ehefrau Francesca sowie die drei Mitglieder seiner Eskorte - Antonio Montinaro, Vito Schiffani und Rocco Di Cillo - zum Opfer fielen. Es war nach dem Mord am Politiker Salvo Lima - Kontaktmann des damaligen Regierungschefs Giulio Andreotti zur Cosa Nostra - der zweite, wohl aber der bedeutendste Anschlag der Mafia im Jahre 1992.
Ihm folgten das Bombenattentat in der Via Amelio gegen Falcones Freund und Kollegen Paolo Borsellino sowie Anschläge in Florenz, Mailand und Rom. Die Cosa Nostra reagierte mit den »Blutbädern« auf das Urteil des Kassationsgerichtes im Februar jenes Jahres, bei dem 460 Mafiosi im Maxiprozess zu langjährigen Haftstrafen verurteilt wurden.
Der Anschlag auf Giovanni Falcone war kein Zufallsereignis. Bereits kurz vorher war ein Attentat auf ihn geplant, wurde jedoch vom Cosa-Nostra-Boss Toto Riina abgesagt. Man habe einen besseren Plan. Der sah die Explosion von 1000 Kilogramm TNT unter der Autobahn vom Flughafen nach Palermo vor.
Es ging um ein logistisch schwieriges Unternehmen, das viele bis heute ungeklärte Fragen aufwirft: Wie konnte der Sprengstoff unbemerkt unter die Autobahn gebracht werden? Und vor allem: Woher wussten die Attentäter die geheim gehaltene Route des Richters? Denn jedes Mal wurde ein anderer Weg gewählt, um Falcone von Besprechungen in Rom nach Palermo zu bringen. Ermittlungen, die auch in Geheimdienstkreise reichten, bleiben bis heute als Staatsgeheimnis unter Verschluss. Dies gilt ebenso für die Verhandlungen zwischen Staat und Mafia, die Ende 1992 zur Einstellung der Anschläge führten.
Die Ermittlungen zum Attentat von Capaci liefen parallel zu denen, die sich mit Praktiken und Mafiaverbindungen des christdemokratischen Dauer-Spitzenpolitikers - darunter sieben Mal Premierminister - Giulio Andreotti, der 2013 verstarb, beschäftigten. Mit der Aktion »Mani pulite« (Saubere Hände) wurden Korruptionsaffären aufgedeckt.
Das Ende der Democrazia Cristiana wie auch der Ersten Republik war mit dem Aufdecken der Tangentopoli (Bestechungsaffären) eingeläutet.
Aus den Trümmern des Staates erhob sich eine neue Partei, die Forza Italia. Ihr stand ein Bauunternehmer aus Mailand vor, der bislang in der Politik unbekannt war: Silvio Berlusconi.
Wie aus Kronzeugenaussagen und späteren Ermittlungs- und Gerichtsverfahren gegen Berlusconis Graue Eminenz, Marcello Dell’Utri, hervorging, war Forza Italia ein Produkt aus Absprachen mit den Cosa-Nostra-Vertretern Bernardo Provenzano und Toto Riina auf der einen und Dell’Utri auf der anderen Seite. Mit der ersten Berlusconi-Regierung - und unter allen folgenden - veränderte sich das Verhältnis von Staat und organisiertem Verbrechen. Abgesehen von einigen zum Teil spektakulären Zugriffen der Anti-Mafia-Einheiten ließ man sich gegenseitig in Ruhe.
»Lebten Falcone und Borsellino heute noch, so sähe Italien sicher anders aus«, erklärt Senatspräsident Pietro Grasso. Langjährig selber oberster Anti-Mafia-Ermittler, weiß der Freund und Kollege der beiden Ermordeten, wovon er spricht. Falcone schwebte eine zentrale Anti-Mafia-Ermittlungsbehörde vor, die dem organisierten Verbrechen in Italien möglicherweise ein Ende hätte bereiten können. Dieser Plan wurde durch die Serie der Attentate von 1992 zunichtegemacht.
Italien ist heute mehr denn je von den Clans durchdrungen. Zwar ist nicht mehr die Cosa Nostra Feind Nummer eins, doch die Clans der ’Ndrangheta und Camorra sind mit ihren illegalen Geschäften und der Infiltration der legalen Wirtschaftswelt auch über die nationalen Grenzen längst zu Imperien aufgestiegen. Sie erzielen Umsätze, die dem Bruttosozialprodukt ganzer Länder entsprechen.
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