Hoffen auf »sonnige Tage«

Ali Riza Tolu, Vater der in der Türkei inhaftierten deutschen Journalistin Mesale Tolu, über ihre Haftbedingungen

  • Lesedauer: 5 Min.

Ihre Tochter Mesale Tolu ist seit dem 30. April in der Türkei wegen des Vorwurfs der »Terror-Propaganda« und »Mitgliedschaft in einer Terrororganisation« inhaftiert. Wie stehen Sie in Kontakt zu ihr?

Am Anfang war es überhaupt nicht möglich, sie zu sehen. Das erste Mal konnte ich sie dann am 15. Mai im Bakırköy Gefängnis in Istanbul besuchen. Die Polizei versucht dabei alles, um den Kontakt zu behindern. Ich musste etwa Dokumente der ganzen Familie vorzeigen, um zu beweisen, dass ich ihr Vater bin. Diese Schikanen dauern und verkürzen die Besuchszeit.

Wie geht es Mesale jetzt?

Sie sagt, dass ihre Moral gut ist. Wenn sie aus dem Gefängnis kommt, will sie wieder als Journalistin arbeiten. Sie wird immer für Gerechtigkeit schreiben. Die Haftbedingungen sind aber sehr schwierig. Sie wird bedroht und es wird versucht, sie psychisch einzuschüchtern. Es wird ihr gesagt, dass sie ihr Kind lange nicht sehen wird und dass die Behörden genau wüssten, wer ihre Verwandten sind.

Mittlerweile ist der Sohn von Mesale bei ihr im Gefängnis. Wie kam es dazu?

Mein Enkel ist offensichtlich schockiert und traumatisiert, auch von der Festnahme mitten in der Nacht. Mein Enkel wurde einfach bei fremden Nachbarn gelassen, denn es war niemand mehr da, um sich um ihn zu kümmern. Mesales Mann, mein Schwiegersohn, ist bereits vor zwei Monaten festgenommen worden, ebenfalls unter dem Vorwurf der Propaganda für eine Terrororganisation. Zuerst haben wir meinen Enkel dann nach Deutschland gebracht. Irgendwann hat er gesagt, dass er nicht sauer ist auf seine Mama. Wir haben überlegt, warum er das sagt. Er hat dann begonnen zu fragen, wo seine Mama ist und hat auch begonnen zu stottern. Dann war er wieder sehr verschlossen. Mesale hat dann entschieden, dass es besser ist, wenn er bei ihr ist. Auch hier gab es wieder Schikanen durch die Behörden. Die Polizei hat gefragt, ob wir beweisen können, dass es wirklich ihr Kind sei.

Erzählen Sie doch ein wenig über ihre Tochter.

Mesale wuchs in Ulm auf, nach dem Tod meiner Frau habe ich sie allein erzogen. Ich bin Automechaniker und extrem stolz, was meine Tochter geschafft hat. Sie spricht fünf Sprachen, wobei ich nicht weiß, ob Latein sehr hilfreich ist (lacht). Sie hat in Frankfurt am Main studiert, ihr Ziel war das Lehramt Spanisch. Nun hatte sie aber das Gefühl, dass sie in der Türkei gebraucht wird. Sie hat sich immer für die Unterdrückten und gegen Ungerechtigkeit eingesetzt. Das Thema Gewalt gegen Frauen war ihr ein besonderes Anliegen. Das fand ich sehr gut und wichtig.

Wie gehen Sie als Vater mit dieser Situation um?

Wohl wie jeder Vater, ich mache mir große Sorgen. Im Gefängnis sind meine Augen glasig geworden. Aber meine Tochter hat mich am Arm genommen und gesagt, dass ich stark bleiben muss und gelacht. Ich bin sehr glücklich über meine Tochter und meine anderen Kinder. Ich werde immer zu ihr stehen.

Warum glauben Sie, wurde ihre Tochter verhaftet?

Es ist klar, worum es hier geht. Leute sollen eingeschüchtert werden. Sie sollen aufhören zu schreiben. Letzte Woche ist bereits die nächste Journalistin von ETHA verhaftet worden. Es geht aber offensichtlich auch um eine Botschaft an die deutschen Behörden. Mesale ist ja nicht die erste, die es trifft. Auch der Journalist Deniz Yücel sitzt hier in der Türkei im Gefängnis. Wobei im Fall von Mesale interessant ist, dass sie nur die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt. Die Türkei geht also scheinbar immer offensiver vor. Ich vermute, dass die Verhaftungen auch damit zusammenhängen, dass Deutschland türkischen Staatsbediensteten Asyl gewährt. Das ist offensichtlich die Revanche.

Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit den deutschen Behörden?

Am Anfang war die Kontaktaufnahme sehr schwierig. Vor der deutschen Botschaft hat mir der Pförtner gesagt, dass ich nicht hinein dürfte. Ich solle anrufen. Dann habe ich rund zehnmal angerufen, damit ich endlich jemanden erreiche. Dann hat es geheißen, ich solle eine Mail schreiben. Mittlerweile funktioniert die Zusammenarbeit aber sehr gut. Unser Haus in Ulm steht auch unter Beobachtung von rechten türkischen Kräften. Die Polizei hat uns Schutz angeboten, aber wir haben keine Angst. Wir brauchen keine Polizei.

Wie steht es um die Solidaritätsbewegung?

In Deutschland gab es es bereits Kundgebungen in vielen verschiedenen Städten. Unter anderem in Berlin, Köln, Frankfurt und Stuttgart. In Istanbul machen wir ab jetzt jeden Freitag eine Kundgebung im Stadtteil Kadıköy (ein als liberale bekannter Bezirk auf der asiatischen Seite, d. Red.). Das Motto: »Die Presse kann nicht verboten werden. Freiheit für Meşale Tolu!«

Wie geht es jetzt weiter?

Wir wissen nicht, wann es überhaupt ein Verfahren geben wird. Es kann sein, dass das sieben oder acht Monate dauert. Sogar wenn sie freigesprochen oder abgeschoben wird, wird Meşale also auf jeden Fall mehrere Monate im Gefängnis sitzen. Doch wir müssen natürlich zuversichtlich sein. Auch Meşale sieht das so. Aus dem Gefängnis hat sie geschrieben: »Ich bin mir sicher, dass bald die grauen Wolken verschwinden und die sonnigen Tage kommen werden.«

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