Martin kontra Mohammed

Luther wetterte nicht nur wider den »Antichrist« in Rom. Er attackierte auch »des Teueffels diener«, die islamischen Türken. Ein Dialog der Religionen war das mitnichten

  • Ingolf Bossenz
  • Lesedauer: 9 Min.

Das Jahr 1517, in dem Martin Luther seine Thesen wider die Papstkirche veröffentlichte, war ein großes Jahr für den Islam. Genauer gesagt für das Osmanische Reich, dessen oberster Herrscher, Sultan Selim I., die Eroberungsideologie des Religionsgründers Mohammed raumgreifend ins weltgeschichtliche Werk setzte: Ägypten wird nach der Niederlage der Mamelucken Teil des Osmanischen Reiches; Selims Heere erobern den Jemen und beenden damit die persische Dynastie der Tahiriden; die heiligen islamischen Stätten Mekka und Medina fallen an die Osmanen, die zudem Diyarbakir in Südostanatolien erobern. Last, not least: Als Lopo Soares de Albergaria, Generalgouverneur von Portugiesisch-Indien, mit seinen Schiffen kriegerischen Kurs auf Dschidda nimmt, wird die christliche Streitmacht im Roten Meer von der osmanischen Flotte vernichtet.

Zwar sollte die (erste) Belagerung Wiens erst 1529 ihre blutigen Annalen in die europäische Geschichte schreiben, aber bereits zwölf Jahre zuvor waren die Osmanen mit ihrer enormen und erfolgreichen Militärmacht zu einer evidenten und permanenten Bedrohung für die Staaten des christlichen Abendlandes geworden: Mit den siegreichen Schlachten von Adrianopel (1361), an der Mariza (1371), bei Nikopolis (1396) sowie auf dem Amselfeld (1389 und 1448) unterwarfen die türkischen Heerscharen große Gebiete der Balkanhalbinsel; 1453 fiel Konstantinopel, die Hauptstadt des Oströmischen Reiches.

Kaum verwunderlich also, wenn Martin Luther auf den Islam nicht sonderlich gut zu sprechen und zu schreiben war. Dennoch focht den Reformator, als sein geistig-geistliches Ringen mit dem »Antichristen« in Rom vom theologischen Disput zur veritablen Existenzbedrohung eskalierte, das türkische Treiben auf den okzidentalen Schlachtfeldern wenig an. Musste der ehemalige Augustiner-Mönch doch zunächst einmal seine ganze intellektuelle und physische Kraft dafür einsetzen, um »meine Sache, die, hoffe ich, gerecht und wahrhaftig ist«, wie er 1521 auf dem Reichstag zu Worms postulierte, eindringlich und einprägsam unter Volk und Obrigkeit zu bringen und sich der Scharen theologischer, kirchlicher und weltlicher Gegner zu erwehren. Das Herkuleswerk der Bibelübersetzung, das düstere Drama des Bauernkriegs, das Publizieren und Predigen in rastloser Getriebenheit, dazu das Abenteuer Heirat und Familie - all diese Einlassungen, Verwicklungen, Wagnisse beanspruchten den ganzen Mann, den ganzen Martin. Das Streiten wider den »inneren Türken«, womit er den Papst meinte, hatte für Luther Vorrang.

Die »Religion der Türken«, wie der Islam aufgrund seiner damaligen bellizistischen Begleitorgien geheißen wurde, brannte sich in Luthers polemisches Pandämonium erst ein mit der für die Christenheit traumatischen Belagerung Wiens durch die Heere von Sultan Süleyman I. im Jahr 1529. Noch nie war die diametrale Deutung der Botschaften Jesu und Mohammeds so evident wie in jenen horrenden Herbsttagen, deren schicksalhafte Schatten nicht nur über der Hauptstadt des Habsburgerreiches, sondern über dem gesamten Heiligen Römischen Reich lagen. Hatte Jesus vom Reich Gottes gesprochen, das »nicht von dieser Welt« sei, so war Mohammed auf die weltpolitische Bühne getreten, um ein veritables irdisches Reich zu errichten. In seiner Abschiedsbotschaft 632 in Medina soll der Prophet verkündet haben: »Mir wurde aufgetragen, alle Männer so lange zu bekämpfen, bis sie sagen: ›Es gibt keinen Gott außer Allah!‹« Für den britischen Historiker Efraim Karsh war die Geburt des Islam »unauflöslich mit der Schaffung eines Weltreichs verbunden, und sein Universalismus war von Natur aus imperialistisch«. Zudem habe der Islam, so Karsh, »sein imperialistisches Streben bis heute bewahrt«.

Im Schicksalsjahr 1529/30 entstanden denn auch Luthers sogenannte Türkenschriften »Vom Kriege wider die Türken« und »Heerpredigt wider die Türken«. Unter der polternden Polemik des Reformators konnten diese Schriften in äußerst angespannter Zeit schwerlich zu akademisch-diskursiven Traktaten geraten. Der »Tuercke«, so Luther, »streit nicht aus not odder sein land ym fride zu schutzen, als ein ordenlich Obirkeit thut, sondern er suecht ander land zu rauben und zubeschedigen, die yhm doch nichts thun odder gethan haben, wie ein meer reuber odder strassen reuber. Er ist Gottes rute und des Teueffels diener, das hat keinen zweifel.« Er sah in dieser militärischen Ost-West-Auseinandersetzung einen Endkampf um den wahren Glauben und im Osmanischen Reich das vom Propheten Daniel angekündigte letzte Reich, dem es zu widerstehen galt: »Nach ihnen aber wird ein anderer aufkommen, der wird gar anders sein denn die vorigen und wird drei Könige demütigen. Er wird den Höchsten Lästern und die Heiligen des Höchsten verstören und wird sich unterstehen, Zeit und Gesetz zu ändern.« (Dan 7,24-25)

Diese apokalyptische Deutung als Zuchtrute Gottes gegen eine vom Papsttum deformierte Christenheit ließ Luther zu dem Schluss gelangen, dass zwar die militärische Abwehr der anrennenden Osmanenheere von säkularer Alternativlosigkeit sei, es aber nicht um einen sakralen Kreuzzug gehe. Vielmehr könne und müsse die von Gott gesandte Prüfung zuallererst durch die Erneuerung und Gesundung des christlichen Glaubens bestanden werden. Kern der reformatorisch-geistlichen Abwehrstrategie waren die drei B: Bibel - Beten - Buße. Es ging Luther somit nicht um eine theologische Auseinandersetzung mit dem Islam, in dem er - als religiöses Glaubensbekenntnis - keine gefährdende Herausforderung für Christen sah. Es gab und gibt sogar eine Sicht, die das Binden von Kräften der katholischen Reaktion durch die Osmanenabwehr als wesentlich für den Erfolg der Reformation darstellt.

Das Thema Islam griff Luther in späteren Jahren, ohne den Druck der »Türkengefahr«, immer wieder auf. Neben dem Verfassen eigener Bücher übersetzte und verlegte er die Koranwiderlegung des Theologen und Orientmissionars Ricoldo da Monte di Croce (†1320). Ein Koranverbot, wie es heute beispielsweise der rechte niederländische Politiker Geert Wilders fordert, hielt Luther nicht für sinnvoll. Im Gegenteil: Er setzte sich dafür ein, dass 1542 in Basel der erste gedruckte Koran weltweit erschien, und verfasste für diese lateinische Übersetzung sogar ein Vorwort. Seine Intention war, »dieses Büchlein zu verdeutschen, dass doch bei uns Deutschen auch erkannt werde, was für ein schändlicher Glaube des Muhammads Glaube ist, damit wir gestärkt werden in unserem christlichen Glauben«. Dieser Argumentation folgend, könnten wohl auch Islamkritiker und -gegner bestens mit den salafistischen Koranverteilungen in deutschen Großstädten leben.

Ungeachtet ihrer häretischen Irrlehre machte Luther, so der Kirchenhistoriker Thomas Kaufmann, durchaus Beispielhaftes in der religiösen Praxis der Muslime aus: »Die Türken büßen glaubhafter, die Türken sind in ihren asketischen Leistungen viel überzeugender, sie sind in Hinblick auf das Ordenswesen, die Askese viel eindrücklicher.« Hier findet sich eine erstaunliche Übereinstimmung mit dem Katholiken Joseph Ratzinger, dem emeritierten Papst Benedikt XVI. Dieser hatte schon als Kurienkardinal die Ansicht vertreten, der »feste Glaube der Muslime an Gott« sei »eine positive Herausforderung« für das europäische Christentum. Auch für den aktuellen Kulturkampf um die Verschleierung hätte der Reformator wohl wenig Verständnis. War er doch voller Wohlwollen über den islamischen Gottesdienst: »Denn da sind die Weiber an einem abgesonderten Ort und so verhüllt, dass man keine ansehen kann.«

Die entschiedenste Kritik Luthers am Islam betraf die zentrale Stellung der Gewalt als Mittel zur Glaubensverbreitung und -durchsetzung. So schreibt der Theologe und Philosoph Richard Niedermeier, Luther halte »die Rede von der Toleranz der Türken für falsch, da es den Christen im türkischen Herrschaftsbereich nicht möglich sei, öffentlich zusammenzukommen, Christus zu bekennen oder gar an Mohammed Kritik zu üben«. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass der frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, 2014 in einem Interview von den deutschen muslimischen Verbänden eine intensivere Auseinandersetzung mit dem Thema Gewalt im Koran verlangte. Was von offizieller Seite an kritischen Äußerungen zu Legitimierung von Gewalt im Koran und in der islamischen Tradition komme, sei ihm »zu wenig«. Schneider verwies auf die Entstehungsgeschichte von Christentum und Islam: »Das Christentum hatte vor Kaiser Konstantin zunächst 300 Jahre der Verfolgung erlebt, ehe es in Machtpositionen kam, in denen Christen und ihre Kirchen selbst zu grausamen Verfolgern wurden.« Der Islam habe sich dagegen direkt »mit Feuer und Schwert« auf kriegerische Weise ausgebreitet.

Eine Äußerung, die im Grunde genommen nichts anderes aussagt als jene inkriminierte Stelle in der Regensburger Vorlesung von Papst Benedikt XVI. im Herbst 2006, wo der byzantinische Kaiser Manuel II. Palaiologos (1350-1425) zitiert worden war: »Zeig mir doch, was Mohammed Neues gebracht hat, und da wirst du nur Schlechtes und Inhumanes finden wie dies, dass er vorgeschrieben hat, den Glauben, den er predigte, durch das Schwert zu verbreiten.« Diese hernach aus dem kontextualen Zusammenhang gestellte Äußerung löste eine Welle der Proteste von Islamführern und christenfeindlicher Exzesse muslimischer Massen aus.

Zum Reformationsjubiläum 2017 setzt die EKD darauf, »den Dialog der Religionen als genuine Aufgabe reformatorischer Theologie zu entdecken« - unter besonderer Berücksichtigung des Dialogs mit dem Islam, »der in der Reformationszeit aus nahe liegenden Gründen mit den gegen das Reich anstürmenden Türken identifiziert und daher kaum präzise wahrgenommen wurde«. Ist da eine im Ton sachliche, in der Sache deutliche Einlassung, wie sie Nikolaus Schneider als EKD-Ratschef formulierte, noch zeitgemäß? Das mächtige Mantra »Der Islam gehört zu Deutschland«, begleitet von der starken muslimischen Zuwanderung, die spätestens ab 2015 diesen Satz zur Gretchenfrage gesellschaftlichen Toleranzverhaltens erhob, lässt die EKD womöglich päpstlicher, aber zumindest ebenso päpstlich wie der von Luther als Antichrist geschmähte Papst agieren. Hatte Franziskus doch bereits vor dreieinhalb Jahren in seinem Apostolischen Schreiben »Evangelii gaudium« postuliert: »Der wahre Islam und eine angemessene Interpretation des Korans stehen jeder Gewalt entgegen.« Erstaunlich: Der Stellvertreter Christi verkündet den »wahren« Islam, während Rom den Kirchen der Reformation bescheinigt, sie seien »nicht Kirchen im eigentlichen Sinn«, wie es die vatikanische Erklärung »Dominus Iesus« aus dem Jahr 2000 dekretiert. Der ostdeutsche Schriftsteller Klaus-Rüdiger Mai bemerkte ebenso lapidar wie treffend: »Um den politisch erwünschten Dialog zu führen, scheint man bereit zu sein, das Christentum durch einen Wohlfühl-Protestantismus ohne Christus, ohne Luther auch, aber mit dem EKD-Funktionär als neuem Glaubensheros zu ersetzen.«

Auch in anderer Hinsicht scheint die EKD pontifikalen Vorgaben zu folgen. Anlässlich des Heiligen Jahres der Barmherzigkeit (das im November 2016 endete) erklärte Franziskus, die Angehörigen verschiedener Religionen sähen Dinge unterschiedlich. Doch gelte für alle, dass sie Gott zwar auf je anderen Wegen suchen, aber im Wesentlichen übereinstimmen, weil sie an die Liebe glauben. Margot Käßmann, EKD-Botschafterin für das Reformationsjubiläum, erklärte in der »Bild«-Zeitung, dass man außer Christus auch andere Wege zu Gott finden könne.

Das krampfhafte Bemühen um Harmonisierung der Bekenntnisse mag ja im derzeitigen Regnum des Relativismus sympathisch wirken. Nur: Wenn man Glaubenden, egal welchen Bekenntnisses, verkündet, die von ihnen gesuchte Wahrheit sei auch in anderen Religionen zu finden - warum sollte dann die eigene noch verteidigt werden? Muslime, Anhänger der in der heutigen Welt glaubensstärksten und wirkmächtigsten identitätsstiftenden Religion, werden an solchem Diktum wenig Sinn und Gefallen finden.

Dieser Text ist eine vom Autor überarbeitete Fassung seines Beitrags in der Juniausgabe der Zeitschrift »WeltTrends« mit dem Schwerpunktthema »Protestantismus global«.

Literatur

Efraim Karsh: Imperialismus im Namen Allahs. Von Muhammad bis Osama Bin Laden. München 2007.

Richard Niedermeier: Mohammed vor den Toren. Ein Kampf um Europa. Fulda 2015.

Johannes Ehmann: Luther, Türken und Islam. Eine Untersuchung zum Türken- und Islambild Martin Luthers (1515-1546). Gütersloh 2015.

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