»Für manche Pflanzen ist es schon zu spät«
Sachsen-Anhalt: Das Jerichower Land erlebt das dritte trockene Frühjahr in Folge - die Ernteaussichten sind trübe
Hohenseeden. Wenn Gerhard Flügge durch den Schlag mit dem Mischgetreide Triticale geht, bilden sich Sorgenfalten auf seiner Stirn. »Fast wie in der Sahelzone«, stellt der Landwirt sarkastisch fest. Gerade mal bis zum Knie reichen ihm die Halme an manchen Stellen. Die Blätter sind spröde vor Trockenheit. Mehrere große Inseln mit mickrigem, rötlich-gelbem Getreide haben sich in dem hellgrünen Meer gebildet.
Hohenseeden liegt im Jerichower Land im Norden Sachsen-Anhalts. Die Sandböden dort sind gut für den Spargel. Aber das Getreide leidet in regenarmen Zeiten, weil die Niederschläge zu schnell versickern. »Es ist das dritte trockene Frühjahr in Folge«, sagt Flügge, der Vorstandsvorsitzende der Agrargenossenschaft Hohenseeden/Parchen mit rund 2000 Hektar Nutzfläche. Er spricht von einer regelmäßig wiederkehrenden Frühsommerdürre.
In den zurückliegenden Jahren hat der Betrieb Flügges Angaben zufolge große Einbußen beim Getreide hinnehmen müssen. In manchen Jahren regnete es den ganzen April gar nicht, in diesem Frühjahr war der Mai extrem trocken. Schon jetzt zeichne sich ab, so Flügge, dass es an einigen Stellen 100 Prozent Ernteausfall geben werde. Bewässert werden in seinem Betrieb nur die Sonderkulturen wie Spargel, Erdbeeren und Heidelbeeren. Alles andere rechne sich nicht. »Für manche Pflanzen ist es jetzt schon einfach zu spät.«
Davon will der Bauernverband in Sachsen-Anhalt derzeit noch nicht sprechen. Zumindest sei die Lage nicht flächendeckend kritisch. »Die Niederschläge waren allerdings sehr unterschiedlich verteilt«, sagt der Sprecher des Landesbauernverbandes, Christian Apprecht. Der Köthener Raum sei immer besonders trocken, und auch in den Sandböden des Jerichower Lands versickere das Wasser sehr schnell. »Man sieht an manchen Stellen, dass sich die Blätter rollen, allerdings ist es in der Fläche nicht dramatisch. Aber man sollte den Bauern jetzt Wasser gönnen.«
Nach Ansicht von Apprecht beginnt die kritische Phase fürs Getreide jetzt. »Gerste, Roggen und Weizen schieben jetzt Ähren. Sie brauchen also Wasser«, sagt er. »Die Rüben schließen gerade die Reihen, der Mais steht gut. Hier ist noch alles im grünen Bereich.« In Hohenseeden experimentiert der Betrieb, wie er mit den trockenen Frühjahren umgehen und die Verdunstung und das Versickern von Wasser verhindern kann. Etwa mit der pfluglosen Bodenbearbeitung. »Der Pflug steht bei uns in der Ecke«, sagt Flügge. »Beim Mais bauen wir Zwischenfrüchte an.«
Trotzdem rechnet die Agrargenossenschaft zumindest bei der Triticale, einer Kreuzung aus Weizen und Roggen, mit einer Notreife. Das bedeutet Qualitäts- und Erlöseinbußen. Während Flügge durch den Getreideschlag geht und kritisch die Ähren begutachtet, werden die Wolken dichter, und aus der Ferne ist Donnergrollen zu hören.
Der Regen, der wenige Minuten später über das Feld bei Parchen niedergeht, ist heftig. Aber er dauert nur wenige Minuten. Schon kurz danach ist die Straße wieder trocken, und die Sandböden haben das Wasser aufgesaugt - der sprichwörtliche Tropfen auf den heißen Stein. »Es ist einfach zu wenig«, resümiert Gerhard Flügge und hofft weiter auf Regen.
Auch in Sachsen ist die Situation nicht normal: Trotz der heftigen Unwetter mit zum Teil kräftigen Niederschlägen führen die Flüsse dort weiter Niedrigwasser. »Die Vegetation hat viel Wasser aufgenommen, das dann natürlich nicht in den Flüssen angekommen ist«, sagte eine Sprecherin des Sächsischen Landesamtes für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie. Die anhaltende Trockenheit mache sich in den Flüssen bemerkbar. Insbesondere die Elbe sehe momentan dürftig aus. Bei einem Pegelstand von 90 Zentimetern führe sie derzeit nur etwa die Hälfte dessen, was eigentlich normal wäre.
Eine Gefahr für die Schiffbarkeit der Elbe - was ja auch Sachsen-Anhalt betreffen würde - sei derzeit jedoch noch nicht gegeben, so die Sprecherin. Erst wenn der Pegel unter 70 Zentimeter fallen sollte, könnte es für die Binnenschiffer problematisch werden. »Wenn die Niederschläge ausbleiben, kann sich die Lage ändern.« Allerdings sei es schwer, eine Langzeitprognose abzugeben. Innerhalb der vergangenen Wochen sei der Wasserdurchfluss der Elbe von 60 bis 80 Prozent des langjährigen mittleren Wertes für den Mai auf nunmehr 40 bis 50 Prozent zurückgegangen. dpa/nd
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