Wie sicher ist Afghanistan?
Terror in Kabul heizt Streit um Abschiebungen an
Berlin. Der schwere Bombenanschlag in Kabul hat die Debatte über Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber nach Afghanistan neu entfacht. SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz sowie Politiker von LINKEN und Grünen fordern angesichts der Sicherheitslage einen generellen Abschiebestopp. Unionspolitiker - allen voran Kanzlerin Angela Merkel und Bundesinnenminister Thomas de Maizière (beide CDU) - lehnen das ab. Auch die meisten Bundesländer, selbst rot-gün regierte, wollen laut einer dpa-Umfrage an den Abschiebungen festhalten, vor allem, wenn es sich bei den Ausreisepflichtigen um Straftäter handelt. Ob sich der Sprengstoffanschlag in Kabul gegen die in unmittelbarer Nähe gelegene deutsche Botschaft oder gegen ein anderes Ziel richtete, war am Donnerstag weiter unklar.
Schulz forderte einen vorläufigen Abschiebestopp für Flüchtlinge aus Afghanistan. »Ich glaube, dass wir im Lichte der Ereignisse des gestrigen Tages zunächst einmal nicht weiter abschieben sollten«, sagte der SPD-Vorsitzende. Das Auswärtige Amt - geführt von seinem Amtsvorgänger Sigmar Gabriel - müsse die Sicherheitslage neu bewerten. Dann müsse entschieden werden, ob und wann die Abschiebungen wieder aufgenommen werden könnten.
Merkel sagte, der Anschlag sei »noch einmal Anlass, genau hinzuschauen, die Sicherheitslage immer wieder richtig zu analysieren«. Das mache das Auswärtige Amt. Es gehe auch darum, sich bei Abschiebungen auf Menschen zu konzentrieren, die Straftaten begangen hätten. »Das ist für mich die Lehre aus dem gestrigen Tag.«
Die Explosion der mächtigen Lastwagenbombe am Mittwoch hatte mindestens 90 Menschen getötet. Etwa 460 wurden verletzt, ein Gebäude der deutschen Botschaft schwer beschädigt. De Maizière hatte am Mittwoch einen geplanten Abschiebeflug abgesagt und diese Entscheidung damit begründet, die Botschaft habe nach dem Anschlag Wichtigeres zu tun, als sich darum zu kümmern. Der Flug werde möglichst bald nachgeholt.
Grünen-Chef Cem Özdemir sagte, das Auswärtige Amt dürfe nicht länger »Gefälligkeitsgutachten« für de Maizière erstellen. LINKE-Chefin Katja Kipping erklärte: »Die deutsche Botschaft in Kabul liegt nach dem schlimmen Terroranschlag fast in Schutt und Asche, doch die Union will weiter in das Bürgerkriegsland abschieben.« Dies sei »unchristlich und eine Schande für unser Land.«
In Kabul gingen die Identifizierung der Opfer und Ermittlungen zu den Tätern weiter. Regierungssprecher Ismail Kawusi sagte, es gebe Hinweise auf weitere Opfer. »Wir glauben, dass manche Menschen niemals gefunden werden, weil die Explosion sie in zu kleine Stücke gerissen hat.« Das Eckhaus der Botschaft, das durch die Explosion der Lastwagenbombe schwer beschädigt wurde, liegt neben einem mit einem Sicherheitsposten gesicherten Zugang zur »Grünen Zone« - einem Areal mit wichtigen afghanischen und internationalen Büros.
Nach Angaben der Kabuler Polizei hatte sich der mit Sprengstoff gefüllte Tanklastwagen wohl zunächst dem Sicherheitsposten genähert. Die Polizei habe ihn nicht durchgelassen, berichtete Polizeisprecher Basir Mudschahid. Der Fahrer habe dann kehrtgemacht und die Bombe an der belebten Straße zwischen der Botschaft und dem nächsten Eingang zur »Grünen Zone« gezündet. dpa/nd
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.