Das Dorf der verschwundenen Nägel
Der Klimawandel ist nicht das drängendste Problem in Ghana: Entwaldung, Vermüllung und Überfischung sind schlimmer
Sabine Bohland hat für die ARD-Reihe »Afrika, Afrika« das ghanaische Küstendorf Totope besucht und will dort den Klimawandel »hautnah« erlebt haben. Der Anstieg des Meeresspiegels lasse das Dorf im Meer versinken, der Klimawandel löse sogar die Nägel in den Dächern auf, die Menschen müssten deshalb Steine auf das Wellblech legen. Das Ärgerliche an solcher Berichterstattung ist weniger der durchsichtige Mythos als die falsche Hierarchie der Probleme.
Zunächst lässt Seeluft Eisen korrodieren, Meeresspiegel hin oder her. Im Hinterland erledigt der Regen das Gleiche. Dann wirft man bei einem Regensturm Steine aufs flatternde Wellblech, damit es nicht wegfliegt. Man könnte auch rechtzeitig rostfreie Nägel einschlagen - aber das klingt banal, die Verbreitung der Vorstellung eines korrosiven Klimanebels bringt mehr Klicks.
Dass es eine natürliche Küstendynamik gibt, die durch Erdbeben und starke Meeresströmungen bestimmt ist, wird verschwiegen. Schützende Mangrovenwälder wurden abgeholzt, der salzige Sand trotz seiner schlechten Qualität überall als Bausand abgebaut, unter anderem für die Betonziegelbauten der Fischer, die dann rasch als Ruinen enden.
Der Anstieg des Meeresspiegels ist real: 17 Zentimeter im 20. Jahrhundert. Aber Totope ist zugleich ein Ausnahmedorf. Es balanciert auf einer schmalen Sandnadel zwischen dem notorisch rauen Atlantik im Süden und der Songor-Lagune im Norden, die zu den letzten Lebensräumen der wenigen noch verbliebenen westafrikanischen Rundschwanzseekühe gehört. Zwischen Salz- und Brackwasser liegen wenige Dutzend Meter. Der auf Sand gebaute Stützpunkt für Fischerboote entstand dort, gerade weil der Ort von Wasser umgeben ist und man sowohl im Brackwasser als auch im Salzwasser reiche Fischbestände hatte. Kein Wunder also, dass hier die Naturgewalten am Untergrund zerren. Dass ein steigender Meeresspiegel das Grundwasser versalzen hätte, wie der Beitrag behauptet, ist eine unglaubwürdige Dramatisierung, weil es auf dieser Sandbank vermutlich nie etwas anderes als Brackwasser gab. Man könnte theoretisch aus Totope wenige Meter nach Westen aufs Festland in das Nachbardorf Pute umziehen. Nur kaufen Hotelbetreiber, reiche Remigranten, Weiße und Drogenbarone alles Land am Strand um Accra teuer auf, weil hier ein kühler Wind vom Meer weht. Die Reichen ziehen trotz Küstenerosion und teilweise meterhoch angeschwemmtem Müll zum Strand hin, nicht davon weg.
Auch andere ghanaische Küstendörfer wurden schon für Klimawandel-Dramen ausgebeutet. Der BBC erzählt ein Dorfbewohner aus Fuveme: »Das war einmal ein sehr schönes Dorf - viele Kokospalmen, Meeresschildkröten, Möwen, Delfine, Haie und alles - es ist schrecklich, wegen des Klimawandels leiden wir jetzt.« Doch das Leid der Tiere und Absterben der Pflanzen hat nichts mit dem Klimawandel zu tun. Meeresschildkröten landen in Ghana im Kochtopf, bei chinesischen Händlern, oder sie sterben am Plastikmüll. Kokospalmen werden abgeholzt, wo sie im Weg stehen. Der Klimawandel hat auch keinen einzigen ghanaischen Delfin oder Hai getötet. Und wenn im Hinterland Böden versteppen und Dürren herrschen, ist primär die Entwaldung schuld, die eine viel direktere Auswirkung auf Mikroklima, Flüsse und Wild hat. Auch für die Fischerboote werden illegal Bäume im Inland geschlagen. Reiche Bootsbesitzer aus der Stadt heuern dann Fischer an, deren Löhne unter anderem deshalb so miserabel sind, weil die Megatrawler der Fischpiraten alles leerfischen für den Markt in Europa und China.
All das ließe sich mit vergleichsweise einfachen, berechenbaren Maßnahmen beheben: Müllbeseitigung, Regulierung der Sandentnahme, Küstenwachen, bauliche Maßnahmen, Umsiedlungen, bessere Gebäude. Aber erst wenn der Klimawandel in der Schlagzeile sitzt, können die egozentrischen Menschen im Westen im Sündenstolz über »ihre große Schuld« schwelgen, ohne irgendwelche konkreten Konsequenzen dafür zu tragen. Man kauft eben bestenfalls ein Elektroauto oder fliegt »CO2-neutral« in den Urlaub, in der Illusion, dass damit afrikanische Dörfer vor den Auswirkungen des Klimawandels gerettet würden. Auf allen komplexeren und drastischeren Problemen bleiben die afrikanischen Arbeiter und Arbeitslosen derweil sitzen.
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