Das heiße Eisen der Erinnerung

Sprengel Museum Hannover zeigt Collagen und Filmausschnitte aus dem Schaffenswerk von Wenzel Storch

  • Radek Kolczyk
  • Lesedauer: 4 Min.

Die frühe Bundesrepublik kann kein schöner Ort für eine Kindheit gewesen sein. Die alten Nazis hatten sich nicht nur ihre politischen, sondern auch ihre moralischen und ästhetischen Vorstellungen erhalten. Sie hatten damit diese Gesellschaft, die der Vorstellung einiger Alliierter nach eine neue und demokratische werden sollte, zugekleistert. Darauf zu warten, dass sie starben, war recht nutzlos. Denn dann wäre auch die Kindheit längst vorbei gewesen. Es war nicht möglich, die Nachkriegszeit unbeschadet von den Nazijahren zu überstehen.

Dieses Nachkriegsdeutschtum prägt dann auch eine Ästhetik wie sie der 1961 geborene Filmemacher, Künstler und Autor Wenzel Storch verwendet. Eine Hauptrolle spielt dabei der strenge Katholizismus der Eltern, unter dem der junge Wenzel Storch massiv zu leiden hatte. Von Ministrantenheften und Priesterstars handelten dann auch Storchs Essays, die er für die Monatszeitschrift »konkret« schrieb und die inzwischen als Bücher veröffentlicht wurden. Das Grauen der Nachkriegszeit zieht sich bei Storch jedoch selbst in die bunten, psychodelischen Welten der Hippiekultur. Die Idee der freien Liebe der Herren mit Schlaghosen und farbigen Hemden ist eben auch schlüpfrig und eklig. Junge Frauen werden in Storchs Hippiefilm »Sommer der Liebe« (1992) zu Wurst verarbeitet. Etwas anderes als zu Frischfleisch degradiert zu werden, ist überhaupt nicht möglich.

Motive wie diese werden in Storchs Filmen verarbeitet, ein wenig so, wie man es in Träumen und Räuschen tut. Man kann die Vergangenheit dadurch monströser machen, als sie war; man kann ihr aber auch ihren Schrecken nehmen. Im Traum geschieht dies unwillkürlich, im Film jedoch ist der Einfluss total. Bei Wenzel Storch erscheinen Momente dieser alten Bundesrepublik vollkommen absurd, und in dieser Absurdität gewinnen sie ein Eigenleben. Und ein Happy End haben die Filme mit den märchenhaften Titeln wie »Der Glanz dieser Tage« (1989) oder »Die Reise ins Glück« (2004) stets.

Ausschnitte aus diesen Filmen, ihre Requisite sowie Storchs Collagen und albernen Buntstiftzeichnungen sind derzeit im Sprengel Museum Hannover zu sehen. »Das heiße Eisen der Erinnerung« ist der sprechende Titel von dieser ersten institutionellen Einzelausstellung. Ausgerechnet in Hannover, von wo aus es sowohl nach Storchs Geburtsstadt Braunschweig als auch nach Hildesheim, wo er bereits seit den 1980er Jahren lebt, nur ein Katzensprung ist. Und so spielt sich ein ganzes Künstlerleben in einem kleinen Teil der alten Bundesrepublik ab, die vielen als besonders provinziell gilt - die Landeshauptstadt Hannover inklusive.

Storchs selbstgebastelte Requisiten machen tatsächlich einen großen Teil seiner Filme aus. In Diashows hat er in den letzten Jahren die Umstände ihrer Entstehung referiert, in einer gammeligen Plattenbau-WG in Hildesheim, die über einer bei Alkoholikern beliebten Bude untergebracht war. Manches war dann für die Ausstellung auch nicht mehr zu haben. Kurz vor der Eröffnung klagte er bei Facebook über den Verlust des berühmten Raumschiffmodells aus »Reise ins Glück«: »Zu früh gefreut! Gustavs Schneckenschiff ist in Hannover nun doch nicht mit von der Partie. Der Grund: Es stinkt erbärmlich nach Pisse, in den Wintermonaten scheint sich ein streunender Kater - vielleicht auch ein Iltis oder ein Waschbär - darüber hergemacht zu haben. Auch die Schneckenhaut sieht inzwischen etwas lädiert und angeknabbert aus, und hier und da ist ein zarter, schimmelartiger Flaum zu sehen«.

Schöne Requisiten, die die Lagerung überlebt haben, gibt es im Sprengel dennoch zu bestaunen. So etwa die in Gold gerahmten Bilder aus dem Festsaal des schurkigen Königs aus »Reise ins Glück«, die die Porträts der adeligen Ahnen Eule, Antilope und Giraffe zeigen.

Recht plausibel erscheint die Zugehörigkeit des Schriftstellers Arno Schmidt zu jener alten Bundesrepublik. Schmidt und seine literarischen Experimente umgibt stets eine besondere Aura, ganz so, als würde es sich um einen Heiligen und seine Reliquien handeln. Storch stellt in seinem 2012 erschienenen Filzstiftbuch »Arno und Alice« die glückliche Verklemmtheit (bei gleichzeitiger Schlüpfrigkeit) des Autors heraus. Der Arno-Schmidt-Gesellschaft reichte dieses Engagement für eine Förderung der Ausstellung.

Aus den späten 1980er Jahren stammt ein Videoclip, den Storch für die Jugendsendung »Moskito« aufgenommen hat. Man sieht darin ein junges Mädchen sich im Wasser wiegen und einen Juliane Werding-Song singen: »15 ist ein undankbares Alter/Du siehst aus wie 17/Doch sie behandeln dich wie 13«. Die Neue Deutsche Welle wirkt so unendlich verzweifelt aber reflektiert. Zumindest gegenüber der vorgeführten Hippiekultur.

Ebenfalls in der Ausstellung läuft ein Musikvideo, das Storch 2009 für ein Solostück des Ärztemitglieds Bela B gedreht hat. »Altes Arschloch Liebe« ist der Titel, der Song ist musikalisch ziemlich konventionell und langweilig. So ist leider auch das Video: Bela B tanzt mit einer alten Frau und ein Kaspertheater führt ihre Liebesgeschichte auf. Man soll ja keine Armutsromantik betreiben - aber möglicherweise laufen gute Produktionsbedingungen, die Storch beim Dreh sicherlich genießen konnte, einer eigenwilligen und chaotischen Ästhetik entgegen.

Die Ausstellung ist noch bis zum 17. Juli zu sehen.

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