Verdächtige Gentests

In Freiburg wurde über Gefahren und Chancen einer Technik debattiert, nach der im Rahmen spektakulärer Kriminalfälle schnell gerufen wird

  • Ralf Streck
  • Lesedauer: 4 Min.

Zwei Morde haben im vergangenen Jahr die Gemüter in Freiburg erhitzt. Freiburgs Polizeipräsident Bernhard Rotzinger forderte, am Tatort gefundene Spuren von Blut, Speichel oder Sperma sollten auf Haut-, Augen- und Haarfarbe sowie Herkunft und Alter untersucht werden dürfen. Seither tobt eine erregte Debatte über erweiterte DNA-Analysen, die über Bundesratsinitiativen aus Baden-Württemberg und Bayern den Weg nach Berlin gefunden hat. Auch Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) lässt einen Entwurf erarbeiten.

Natur- und Sozialwissenschaftler, Kriminalisten, Juristen, Datenschützer und Anthropologen kamen am vergangenen Wochenende in Freiburg zu einem Symposium zusammen, um eine «Qualitätsoffensive» zu starten. Die Debatte ist oft von unrealistischen Vorstellungen geprägt, als habe man ein perfektes Mittel zur Verbrechensaufklärung zur Hand. «Die Möglichkeiten werden deutlich überschätzt, die Risiken dagegen massiv unterbewertet», erklärt Anna Lipphardt vom Freiburger Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie. Mit ihrer Schwester, der ebenfalls in Freiburg forschenden Wissenschaftshistorikerin Veronika Lipphardt, gehört sie zu den Initiatorinnen einer multidisziplinären Wissenschaftlergruppe aus Freiburg, Berlin, Basel und Newcastle, die sich gegen eine vorschnelle, nicht regulierte Einführung erweiterter DNA-Analysen in der Forensik wendet. Sie stellt sich nicht grundsätzlich dagegen, aber zu viele wissenschaftliche, rechtliche und ethische Fragen seien offen. Wünschenswert wäre «ein Konzept für eine wissenschafts- und praxisübergreifende Initiative», um zunächst «Regulierungs- und Qualitätsstandards für den möglichen Einsatz» zu formulieren, erklärten die Forscherinnen gegenüber «nd».

Freiburgs Polizeipräsident hatte nach einem «Phantombild aus dem Labor» gerufen und die Politik sprang schnell mit Gesetzesvorhaben bei. Eine umfassendere Auswertung von DNA-Spuren hätte bei der Tätersuche «massiv geholfen», meinte Rotzinger. Doch der Genetiker Peter Schneider (siehe unten) sieht noch einen weiten Weg bis zum «Phantombild». Die Werbung einer US-Firma, sie könne «virtuelle Gesichtsbilder aufgrund von DNA-Spuren» erstellen, sei «eine Schande für die seriöse Wissenschaft», wie Schneider im WDR sagte.

Trotz allem sind schon tiefgreifende Änderungen der Strafprozessordnung vorgesehen. Über die Bestimmung von äußeren Merkmalen und der «biogeografischen Herkunft» hinaus, geht es in mehreren Gesetzesanträgen auch um eine erhebliche Ausweitung, Erhebung, Speicherung und Verwendung von DNA-Spuren, wie z. B. die Suche nach «Beinahe-Treffern» in polizeilichen Datenbanken. Der «genetische Fingerabdruck» soll bei allen Deliktarten erhoben und gespeichert werden. Auch sollen der Richtervorbehalt sowie die Informations- und Begründungspflicht für eine DNA-Entnahme nach bisherigen Vorstellungen entfallen.

Den Ermittlern würde weitgehend freie Hand gegeben und mit der Ausweitung auf die präventive Gefahrenabwehr ergäben sich massive Probleme für Datenschutz und informationelle Selbstbestimmung der Bürger, kritisiert die Wissenschaftlergruppe.

Veronika Lipphardt, die zur Populationsgenetik sowie zur Geschichte der Lebenswissenschaften forscht, bemängelt, die Techniken seien bei weitem nicht so genau, wie es sich Ermittler wünschen würden. «Selbst wenn man die Bevölkerung von besonders weit entfernten Kontinentalregionen mit den genetischen Methoden gut auseinanderhalten kann, so stellen doch Grenzregionen zwischen Kontinenten ein großes Problem dar.» Es wäre vielleicht möglich, zwischen einem Ostasiaten und einem subsaharischen Afrikaner oder einem Westeuropäer zu unterscheiden, die Regionen zwischen Asien und Europa sind aber kaum darstellbar. Es seien zu viele Wanderungsbewegungen zu beachten, und auch die Referenzdatenbanken seien lückenhaft. «Das bedeutet aus meiner Sicht, dass die Aussagekraft dieser Methoden für viele Fälle doch sehr beschränkt ist.»

Letztlich wurden die eingangs erwähnten Morde mit den bisherigen Mitteln aufgeklärt. Ob erweiterte DNA-Analysen geholfen hätten, ist zweifelhaft. In den Ländern, die diese bereits einsetzen, werden sie sehr selten angewendet; äußere Merkmale wurden in den Niederlanden noch nicht untersucht, nur die sogenannte «biogeografische Herkunft».

Für Veronika Lipphardt ist die besonders heikel. Keine Datenbank stelle derzeit die menschliche genetische Vielfalt ausgewogen dar. «Je nach individueller Abstammungsgeschichte und Selbstzuschreibung können Zuordnungen sogar völlig falsch liegen. Menschen aus einer Region sind längst nicht mehr genetisch ähnlich, sondern vermischt, stellte auch Joachim Burger auf dem Symposium klar. Für den Populationsgenetiker von der Universität Mainz ist »der Mensch eine stark migrierende Spezies«. Auch Wanderarbeit und Vertreibung hätten Spuren in der DNA hinterlassen. Man riskiere Überinterpretationen und falsche Verdächtigungen.

Eine DNA am Tatort kann auch von Unschuldigen stammen, und bei Reihenuntersuchungen werden Profile von vielen Menschen erhoben. Bei diesen sensiblen Daten ist bisher unklar, wo und wie lange sie gespeichert werden und wer darauf Zugriff hat. Letztlich haben der NSU-Skandal und die Jagd nach dem »Heilbronner Phantom« gezeigt, dass die Ermittler durch biogeografische Zuschreibungen auf eine falsche Spur geführt wurden. Statt nach deutschen rechtsradikalen Mördern wurde nach einer osteuropäischen Täterin gesucht. Dabei waren die Spuren nur Verunreinigungen bei der Herstellung der Wattestäbchen für die Probenentnahme. Das Symposium hat gezeigt, dass die Debatte über die Verlässlichkeit und Nützlichkeit dieser Technologien erst am Anfang steht.

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