Heilende Luft aus dem Bienenstock
Imker aus dem Erzgebirge will sein Inhalationsgerät nach dem Medizinproduktegesetz prüfen lassen
Wer gegen Gräser allergisch ist, hat es oft schwer: Die Pollenflugkarte des Deutschen Wetterdienstes ist häufig knallrot. Das bedeutet eine hohe Belastung für Heuschnupfengeplagte, und es helfen nur Allergietabletten und -sprays. Oder Bienen - genauer gesagt: Bienenstockluft. Davon ist zumindest Jürgen Schmiedgen überzeugt.
Der Imker aus Crottendorf im Erzgebirge hat sich der Apitherapie, der Behandlung mit Bienenprodukten, verschrieben. »Die Luft in einem Bienenstock enthält verschiedene ätherische Öle und Dämpfe«, sagt Schmiedgen, den sein asthmakranker Enkel darauf gebracht hat. Die Luft sei in Kombination mit einer Temperatur von 35 Grad Celsius, hoher Feuchtigkeit und der Ventilation durch den Flügelschlag von 60 000 Bienen pro Stock der Gesundheit förderlich. Ob Heuschnupfen, Asthma oder chronischer Schnupfen - der passionierte Imker setzt voll und ganz auf seine Schützlinge.
Das Problem: Wie atmet man die Bienenluft gefahrlos ein, ohne gestochen zu werden? Der 64-Jährige hat dafür ein Inhalationsgerät entwickelt. Es saugt die Bienenluft an, ohne die Tiere zu stören oder zu schädigen. Über einen Schlauch gelangt die Luft durch ein Ventil zur Inhalationsmaske, die der Patient 30 Minuten lang trägt, während er in einem bienensicheren Raum neben dem Bienenstock sitzt. Ein feinmaschiges Gitter im Deckel des Stocks verhindert, dass die Insekten entwischen.
Das Gerät aus dem Erzgebirge ist keineswegs das einzige seiner Art, bislang allerdings das erste, für das sein Entwickler die Prüfung nach dem Medizinproduktegesetz anstrebt. »Ich schätze, dass aktuell rund 1000 Bastlergeräte im Umlauf sind«, sagt der Crottendorfer. Es komme eine Handvoll Unternehmen hinzu, die solche Geräte als Nischenprodukte in größerem Umfang auf den Markt bringen, meint ein Hersteller aus dem Saarland. Der Umsatz mit dem firmeneigenen Stockluft-Set sei bisher nicht allzu hoch, sagt Valerie Scherer von der Firma Kunesa. »Aber die Verkaufszahlen steigen jedes Jahr.« Der Familienbetrieb stellt unter anderem Imkerbedarf her. Bislang biete man aufgrund der fehlenden Zulassung des Geräts die Bienenstockluft nur für den Wellnessbereich an, so die Juniorchefin.
Genau das will Schmiedgen ändern: »Ich bin von der heilsamen Wirkung überzeugt und möchte, dass diese Therapieform endlich anerkannt wird und es dafür geprüfte Geräte gibt.« Deshalb will er nun deren Wirksamkeit und Bedenkenlosigkeit in einer klinischen Studie nachweisen. Aktuell laufe die Umsetzung.
Bislang stehen in Deutschland, Österreich und Italien zehn seiner Stationen, darunter ein Prototyp im Kurpark des sächsischen Thermalbads Wiesenbad. Vor allem Patienten mit Atemwegserkrankungen nutzen das zusätzliche Angebot während eines Kuraufenthalts im Erzgebirge. »Ich kannte dieses Naturheilverfahren vorher auch nicht, inzwischen haben mich die Einzelfälle aber überzeugt«, sagt Enrico Weidauer, Chefarzt der Rehaklinik Miriquidi in Wiesenbad.
»Die Krankheitsbilder verändern sich. Etwa jeder Vierte ist heute von Allergien oder Atemwegserkrankungen betroffen - hier ist die alternative Medizin mit ihrem ganzheitlichen Ansatz häufig näher dran als die Schulmedizin«, meint Weidauer. Daher versuche sein Team diese mit natürlichen Methoden zu kombinieren. Die Bienenstockluft sei ein Baustein.
Kritischer sieht Michael Barczok die Bienentherapie. Neben der Gefahr durch Stiche stört sich der Sprecher des Bundesverbands der Pneumologen vor allem an der bislang nicht erforschten Zusammensetzung der Bienenstockluft. »Es gibt zu viele unbekannte Faktoren«, so der Lungenfacharzt aus Ulm. Es sei nicht auszuschließen, dass die Bienen Pollen in den Bienenstock eintragen würden, auf die Allergiker reagieren. Im Gegensatz zur Bienenluft sei das Risiko bei anderen Naturheilverfahren kalkulierbar.
Bislang ist das Verfahren nach Angaben des Deutschen Apitherapiebundes (DAB) in erster Linie Imkern und Heilpraktikern bekannt. Da aber Millionen Menschen an Atemwegserkrankungen leiden, werde die Bedeutung zunehmen, glaubt der DAB-Vorsitzende Stefan Stangaciu.
Sollte das Inhalationssystem aus dem Erzgebirge als Medizinprodukt zugelassen werden, dürfte sich die Bienenkur steigender Beliebtheit erfreuen, meint die Saarländerin Scherer. Darauf hofft auch Tüftler Schmiedgen, den sein Glaube an die Heilkraft der Bienen schon einige Investitionen kostete. dpa/nd
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