Wind über der Mohnwiese
Meir Shalev fühlt sich in seinem Wildgarten zu Hause
Kaffeetrinkend im Schatten des selbst gepflanzten Walnussbaumes, ärgerte ich mich jahrelang über Eichhörnchen, die sich dreist am Ertrag gütlich taten. Irgendwann jedoch fing ich an, das possierliche Treiben der Tierchen zu genießen und meine Nussernte abzuschreiben. Es begann eine ruhigere Zeit. An diese Einsicht erinnerten mich mehrere Episoden im »Wildgarten«-Buch des israelischen Romanciers Meir Shalev. Seine ebenso ausgeklügelte wie vergebliche Jagd auf Blindmäuse muss er als sinnlos begreifen; den Fruchtfledermäusen aus dem nahen Karmel, die nachts den Birnbaum abfressen, stellt er nur mit dem Fernrohr nach.
»Jeder Garten, den der Mensch pflanzt und pflegt, ist Ausdruck des stilisierten und kontrollierten Ringens zwischen Natur und Kultur.« Dieses beginnt mit dem Kauf eines Häuschens in der Jesreel-Ebene. Dazu gehört ein Garten, in dem nicht nur Blumen blühen werden, sondern auch Geschichten. Der Autor erzählt, wie er Wildblumensamen sammelt und wieder aussät, Knollen und Zwiebeln irgendwo aus- und bei sich eingräbt, Unkraut jätet. Ein Wildgarten ist alles andere als ein verwilderter Garten, er macht Arbeit - Voraussetzung jenes Glücksempfindens, dem ein Kapitel gewidmet ist. »Es sind die Momente des Knospens und Blühens und der Wiederkehr überwinternder oder übersommernder Vögel …, wenn leichter Wind über die Mohnwiese weht oder die grünen Blätter der Meerzwiebel knospen, nachdem die Blüten verblüht sind.«
Dies Glück ist nicht zu haben ohne Geduld. Die ist auch beim Schreiben eine unerlässliche Tugend. Es gibt Abläufe, die man nicht beschleunigen soll oder kann. Und hier wie dort gilt: Nicht alle Blütenträume reifen. Kreatürliche Naturverbundenheit als literarisches Biotop: Der Autor genießt die satten Bilder von Klatschmohnteppichen, Alpenveilchenkolonien, Kronenanemonen und Kornraden. Die köstliche Trias biblischer Bäume kitzelt den Gaumen des Lesers, und der Gärtner weiß, warum seine Wahl, falls er nur einen pflanzen könnte, dem Zitrusbaum gälte und Olive, Feige und Wein das Nachsehen hätten.
Dass im Land der Trockenheit um Regen auch von nicht religiösen Menschen gebetet wird, verwundert kaum. Um präziser erhört zu werden, formuliert der Gärtner Verhaltensregeln der Art, dass man Ort, Zeit und benötigte Niederschlagsmenge der Bestellung beifügen sollte. Zwecks Belebung der Konkurrenz wendet er sich bei Nichterhörung an Instanzen wie Zeus und Baal. Ähnlich pragmatisch gestaltet sich sein Verhältnis zu Schädlingen, kleinen Nagern und Wühlern, während der Feldzug gegen einen Unterschlupf der Deutschen Wespe auf Vernichtung zielt. Ernste Gefährdungslagen ergeben Besuche von Pfeilnatter und besserwisserischen Nachbarn. Die bitterböse Beschreibung letzterer als Beispiel für Humor und Selbstironie, die des Autors Fabulierkunst zum Sprießen bringt: Steckt nicht ein bisschen nerviger Nachbar in jedem von uns?
Vollends zum Augenschmaus wird das Buch durch 40 bestechende Illustrationen seiner Schwester Refaella Shir - einige in psalmodierender Farbigkeit. Ein Hohelied über die Launen der Natur, in welcher der Mensch vielleicht die bizarrste Blüte abgibt. In seiner Natur liegen der Drang zur Urbarmachung und eine Sehnsucht nach Verwurzelung. Für den Ausdruck »Frieden und Sicherheit« kennt die hebräische Sprache eine alte, fast vergessene Wendung: »Ein jeder saß unter seinem Weinstock und seinem Feigenbaum.« Zuhause im Garten.
Meir Shalev: Mein Wildgarten. Aus dem Hebräischen von Ruth Achlama. Illustrationen von Refaella Shir. Diogenes Verlag. 352 S., geb., 24 €.
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