Die ausgelagerten Kosten der Landwirtschaft
Das Grundwasser in Deutschland enthält zuviel Nitrate. Hauptverdächtiger: die Massentierhaltung
Der Preis pro Kilo Schlachtgewicht bei konventionellen Schweinen lag im Mai dieses Jahres bei 1,80 Euro, Bio-Schweinefleisch kostete etwa das Doppelte. Auch bei Getreide oder Gemüse liegen die Preise für Bioprodukte immer noch deutlich über denen aus der konventionellen Landwirtschaft.
Die niedrigen Preise für konventionelle landwirtschaftliche Güter beruhen auf einer pauschalen Subventionierung der Höfe nach Fläche - die zusätzlichen Umweltprämien für den Ökolandbau fallen deutlich weniger ins Gewicht -, aber auch auf der Externalisierung eines wesentlichen Teils der Kosten für Mensch und Umwelt: Die Folgekosten der riesigen Güllemengen und des Einsatzes von Mineraldüngern und Pestiziden tauchen ebenso wenig im Preis der konventionell produzierten Lebensmittel auf wie Verluste durch ausgelaugte Böden, Schwund der Artenvielfalt oder Klimaerwärmung.
Diese Kosten lassen sich de facto gar nicht oder nur sehr schwer quantifizieren. Zahlen liegen derzeit nur über den Nitratgehalt des Grundwassers vor. Rund ein Drittel aller deutschen Grundwassermessstellen in der Nähe landwirtschaftlicher Flächen überschreiten die europaweit geltenden Nitrat-Grenzwerte. Die EU hat Deutschland letzten Oktober deshalb nach jahrelanger Ermahnung vor dem europäischen Gerichtshof verklagt. Denn die hohe Nitratbelastung des Grundwassers stellt eine nicht zu unterschätzende Gefahr dar: Rund 70 Prozent des Trinkwassers werden in Deutschland daraus gewonnen. Nitrate sind dort unerwünscht, weil sich aus ihnen im Magen Nitrite und zusammen mit Eiweißabbauprodukten krebserregende Nitrosamine bilden können. Besonders Säuglinge und Schwangere sollten Nitrate im Essen vermeiden.
Zwar ist nach Kenntnis des Umweltbundesamts (UBA) gegenwärtig noch kein deutsches Wasserwerk genötigt, Grundwasser wegen seiner Nitratbelastung aufzuarbeiten. Stattdessen wird Rohwasser, das erhöhte Nitratwerten aufweist, verdünnt oder es werden tiefere Brunnen gegraben. In einigen Fällen bezieht man auch Wasser von entfernten Brunnen. Zukünftig könnten damit hohe Kosten auf die Verbraucher zukommen: Die Autoren einer vom UBA in Auftrag gegebenen Studie, die im Mai dieses Jahres erschien, rechnen bei chemischer Aufarbeitung mit bis zu 767 Millionen Euro im Jahr. Damit würden die Wasserpreise um 32 bis 45 Prozent steigen, denn nach der Wasserrahmenrichtlinie tragen diese Kosten nicht die Verursacher, sondern die Wasserkunden und zwar unabhängig davon, ob sie vom Stickstoffeintrag profitieren, indem sie billige Agrarprodukte aus konventioneller Landwirtschaft zu sich nehmen, oder nicht.
Tatsächlich stammt das Gros des überschüssigen Stickstoffs aus den großen Viehbetrieben im Nordwesten Deutschlands, wo die Tiere auf Spaltenböden gehalten werden. Die dort anfallende Gülle, ein Gemisch aus Urin und Kot, wird zur Düngung auf die Felder gespritzt.
»Anders als bei Mineraldüngern, die gut wasserlöslich und damit in der Regel für die Pflanze direkt verfügbar sind, muss der Stickstoffanteil in Wirtschaftsdüngern wie der Gülle dafür erst über mikrobielle Prozesse im Boden zu Nitrat umgewandelt werden«, erklärt Frank Wendland vom Institut für Bio- und Geowissenschaften am Forschungszentrum Jülich. »Dieser Prozess ist schwer steuerbar und hängt unter anderem von der Witterung ab. In Regionen mit einer hohen Anzahl an Massentierhaltungen fällt sehr viel Wirtschaftsdünger an. Hier kann von gezielten Stickstoffzufuhren auf die Felder keine Rede sein; die Gülle wird dort regelrecht auf den umliegenden Feldern ›entsorgt‹.« Weit weniger problematisch sei Mist, ein Gemisch aus dem Kot und dem Urin der Tiere mit Stroh. »Die Nährstoffe sind dort viel stärker gebunden. Von daher sehen wir diese Art von Tierhaltung viel weniger kritisch«, erklärt Christian Rehmer, Agrarexperte beim Umweltverband BUND.
Mit ihrer Anfang Juni in Kraft getretenen neuen Düngeverordnung hat die Bundesregierung nun endlich auf den jahrelangen Missstand und die EU-Klage reagiert. Nach Meinung von Dirk Osiek, Mitarbeiter in der Abteilung Wasser und Boden beim UBA, müssten die Länder diese nun konsequent umsetzen und die Tierhaltung verändern: »Wir hätten nicht dieses Nitratproblem, wenn sie nicht so konzentriert wäre.« Kurz- bis mittelfristig baut er auf Gülletransport in weniger belastete Gebiete. Rehmer fordert dagegen eine bundesweite Gülle-Transportdatenbank. Er sieht die Lösung vielmehr in weniger Tieren und einer artgerechteren Haltung. Aber auch bei der EU gebe es Handlungsbedarf. »Uns geht es vor allem darum, dass die Subventionen eine umweltgerechte Landwirtschaft unterstützen, anstatt nach dem Prinzip Gießkanne zu funktionieren«, erklärt Rehmer.
Die Probleme der Überdüngung der Landschaft sind vielschichtig. Nitrat gerät in landwirtschaftlich besonders intensiv genutzten Gebieten auch in das Oberflächenwasser und schädigt dort die Wasserorganismen. In Seen und im Meer führt der hohe Nährstoffeintrag zu massiven Algenblüten, die den Gewässern beim Absterben große Mengen Sauerstoff entziehen. Die Seen kippen um, in der Nord- und Ostsee bilden sich sogenannte Todeszonen.
Bei falscher oder übermäßiger Düngung mit Gülle oder Mineraldünger entweichen zudem Ammoniak und Lachgas in die Atmosphäre. Lachgas ist 265-mal so klimaaktiv wie Kohlendioxid und verbleibt etwa 100 Jahre in der Atmosphäre. Das giftige Ammoniak hingegen reagiert dort mit anderen Stoffen zu Aerosolen und gelangt über den Regen wieder zurück auf den Boden. Ähnliches gilt in Ballungsräumen für die Stickoxide aus Verkehr und Industrie. Folge sind Versauerung und Eutrophierung wichtiger Ökosysteme, die Artenvielfalt nimmt ab: »Viele gefährdete Biotoptypen und Pflanzenarten weisen eine niedrige Toleranz gegenüber erhöhten Nährstoffeinträgen auf. Ist besonders viel Stickstoff verfügbar, geraten vor allem diese ohnehin schon gefährdeten Typen und Arten unter Druck. In der Folge verschiebt sich das Artenspektrum, und die für uns alle so wichtige Biodiversität geht verloren«, erklärt Beate Jessel, Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutz. Besonders betroffen davon sind Magerstandorte, Moore und Heiden.
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