Artisten der Lüfte

Die Turmspringer werden bestaunt - und das zu Recht

Wer kennt sie nicht, die Kinder und Jugendlichen, die sich von den Sprungtürmen in die Fluten der hiesigen Freibäder stürzen. Mal elegant, mal stümperhaft fürchten sie weder den steilen Aufstieg bis zur Sprunghöhe noch den Aufprall auf die harte Wasseroberfläche. Sie sind die Helden der Freibäder, Artisten der Lüfte, Söhne der Klippenspringer von Acapulco. Zurecht ist ihnen der Applaus der anderen Badegäste sicher, die staunend und mit offenen Mündern an den Rändern der Sprungbecken stehen und den Todesmutigen zuschauen.

Die Königsdisziplin ist der Sprung vom Zehn-Meter-Turm. Einmal im Leben diesen Koloss bezwingen, der - vergleichbar mit dem Fernsehturm am Alexanderplatz - in den Himmel der Hauptstadt ragt: Das ist der Traum so mancher Jungen und Mädchen, die das Freischwimmerabzeichen auf der Badehose tragen. Sie wollen nicht zu den Losern gehören, die auf der Plattform Schiss bekommen und demütig die Leitern rückwärts hinunterklettern, um sich anschließend vor Scham in die hinterste Ecke des Freibades zu verkrümeln.

Ich wollte nicht zu den Losern gehören, als ich auf dem höchsten Punkt des Pankower Sommerbades stand. Vom langen Warten war mir bereits kalt, meine Hose klebte klatschnass an den Beinen. Ich verspürte einen Luftzug. Ich hatte Bammel vor den 7,5 Metern, meine Höhenangst hatte in den vergangenen Jahren eher zu- als abgenommen. Doch nun gab es kein Zurück mehr. »Vorwärts immer, rückwärts nimmer!«, ging mir durch den Kopf.

Damals, im Freibad in Verden an der Aller (Niedersachsen), war das noch anders gewesen. Wir kletterten beinahe im Minutentakt auf den Zehner und flogen wie japanische Kamikazebomber ins Wasser. In meinen Träumen höre ich noch immer das dumpfe Klatschen und spüre den Rückstoß nach dem Aufprall ins Wasser. Mein Freund Henning war der mutigste von uns. Als einziger traute er sich einen »Köpper« aus zehn Meter Höhe - aus dem Sitzen. Die Kopfschmerzen danach waren ihm egal. Oder er hatte eine bessere Technik als ich. Keine Ahnung. In bester Erinnerung ist mir sein Rausschmiss geblieben, weil er von ganz oben versucht hatte, uns am Boden anzuspucken.

Ein flaues Gefühl war schon damals da, zugegeben, aber heute, mit 37 Jahren und morschen Knochen, fühlt man sich nicht mehr ganz sicher in solch luftiger Höhe. Doch ich wollte den jungen Hüpfern aus dem Berliner Norden eben zeigen, was Daddy noch drauf hat. Und was sind schon siebeneinhalb Meter? Ein Klacks für einen alten Hasen wie mich. Doch Pustekuchen! Denn als ich unten ankam und das Wasser richtig spritzen lassen wollte, merkte ich bereits, dass ich nicht richtig eingetaucht war. Ein Brennen mit gleichzeitigem Druckschmerz am rechten Oberschenkel ließ mich mehr schlecht als recht an den Beckenrand schwimmen. Klar, dass ich mir beim Ausstieg an der Leiter nichts anmerken ließ. Schließlich wollte ich mich vor den Halbstarken, die nach mir auf den Turm gestiegen waren, nicht blamieren.

Am nächsten morgen wachte ich einem riesigen Bluterguss am Bein auf. Ein Held war ich trotzdem. Zumindest für kurze Zeit.

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