Scheidung als Sparmodell

Italiener »kompensieren« so steigende Ausgaben

  • Wolf H. Wagner, Florenz
  • Lesedauer: 2 Min.

Italiens Familien sehen sich unter erheblichem fiskalischem Druck. Steuern auf Haus, Hof, Einkommen, Auto, Abgaben für Fernsehen, Müllabfuhr, Universitäten, Lehrbücher oder Schulmensa - bei stagnierendem Einkommen erhöhen sich die Abgaben. Jede Regierung hat sich etwas Neues einfallen lassen, ohne Verordnungen der vorherigen aufzuheben oder zu korrigieren. Kein Wunder, dass die Bürger sich auch etwas einfallen lassen. Nebst dem, dass die meisten einer zweiten - oft unregistrierten - Arbeit nachgehen, ist das neue Steuersparmodell eine fingierte Scheidung. Paare trennen sich vor dem Richter, doch in Wirklichkeit bleibt die Familie erhalten. Das zieht verschiedene Vorteile nach sich. Jedes Jahr lassen sich 91 000 italienische Ehepaare scheiden. Doch sieben Prozent der Trennungen sind fingiert.

Der Scheidung folgt der Auszug eines Partners. So auch bei Scheinscheidungen: Der Mann muss raus, er kauft sich eine eigene Wohnung. Das kann schon mal ein Wochenend- oder Feriensitz sein. Der steuerliche Vorteil ist, dass diese Immobilie als Erstwohnsitz ihres Besitzers betrachtet wird. Das gibt nicht nur einen Vorteil beim Erwerb, wo fünf Prozent der Grunderwerbssteuern gemindert werden können, der Besitzer zahlt auch nur vier statt elf Prozent Grundsteuer. So fiel auf, dass in der Gemeinde Marina di Grosseto die Zahl der Einwohner deutlich stieg: Menschen aus dem toskanischen Hinterland, die ihren Erstwohnsitz hier anmeldeten, wo sonst Familien ihre Sommerfrische verbrachten.

Der Trick geht so: Das Paar erscheint vor einem Familienrechtler, erklärt die einvernehmliche Scheidung und zieht gemeinsam vor Gericht. Zahlt der »geschiedene« Ehemann seiner Frau und den Kindern einen Unterhalt von 3000 Euro monatlich, kann er dies steuerlich verrechnen und jährlich bis 20 000 Euro Einkommenssteuer sparen. Frau und Kinder bekommen aufgrund ihres geringen Einkommens Zuschüsse zu kommunalen Abgaben, kostenlose Schulbücher, gesenkte Mensapreise sowie eine Reduzierung von Hochschulgebühren. Die Familie lebt trotz Scheidung nach wie vor unter einem Dach.

»Nicht immer geht eine fiktive Scheidung gut aus«, so Gian Ettore Gassani, Präsident der Vereinigung italienischer Familienrechtler. Da gab es eine Frau, die übernahm Haus und Geld und sagte dem geschiedenen Gatten »Adé«: Eine Unternehmerfamilie aus Brianza verliebte sich im Urlaub in eine Traumvilla an der ligurischen Küste. Schon hatte der Steuerberater den Vorteil eines Kaufs nach fiktiver Scheidung berechnet, da entschied sich die Frau, das Haus in Brianza zu behalten und ihren Mann vor die Tür zu setzen. Der bleibt nun auf den Krediten für das Traumhaus sitzen und muss für die treulose Gattin Unterhalt zahlen.

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