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Brodelndes Eldorado

Jan Wagners Hörspiel »Revue. Gold« im Deutschlandfunk

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 4 Min.

Freie Gedanken sprudeln zu Beginn wie Fische im Wasser. Eine Stimme kurvt durch die Geheimnisse der Welt. Sie berührt die Tiefe des Bodens, führt bis hinauf zum Sternenhimmel. Sie streift Phänomene der Natur, der Tierwelt zu Lande und im Wasser. Korallen, Meerestiere, Winde, Wolken verbuchen Silbe für Silbe, Wort für Wort. Glieder fügen sich zur Kette. Beispiel: »... das kriegst du nur unter der ... Hand aufs Herz ...«.

Die Bauersfrau wittert etwas unter dem Boden, während ihr ungezogener Sohn keinesfalls beabsichtige, die Schafe ein Leben lang zu hüten. Es folgt unausweichlich die Rede auf die Geheimnisse des Goldes. Der Mann im johlenden Saal, Goldsucher der oberen Klasse, verspricht seinen Mannen in Sektlaune das große Glück. Ein anderer hat es satt zu schürfen, er will ein nur leben, mit viel Geld. Atemgeräusche. Zwei junge Stimmen abwechselnd: »Ich schippe den Schutt. Ich stoße und mahle. Ich schwing die Hacke, die Kälte am Bein, die Sonne im Nacken.« Läuse treiben umher, so groß wie Chilibohnen. »Wie verteufelt der Nacken wehtut.«

Das Fünfundachtzig-Minuten-Stück, inszeniert von Leonard Koppelmann, ist wirklich keine Minute langweilig. Es dreht sich um die schamloseste Glücksverheißung der Welt, das Gold. Was ist eine Bank wert gegen die Macht einer Goldmine? Das Bedürfnis, einen Klumpen davon zu erlangen, oder der Erscheinung des Prinzen in goldbesticktem Gewande endlich nah zu sein, geht durch die Welt der Märchen und Mythen. Diese enden nicht immer glücklich.

Gold ist explosiv, es weckt kriminelle Energien. Es zu schürfen, produziert Schweiß, Elend, Krankheiten, vorzeitiges Altern, familiäres Unglück. Dem blanken Golde ist Streit, Prügelei, Totschlag und Mord immanent.

Dies und mehr hat Autor Jan Wagner, avisierter Büchner-Preisträger 2017, seiner Revue aus vielen Stimmen um das Edelmetall herum eingeprägt. Ein mobiles soziales Kompendium begegnet dem Hörer in Sprache, Klang und Gesang. Das Stück erinnert ein wenig an Dylan Thomas’ Hörspiel »Unter dem Milchwald«, das in den frühen 1950er Jahren mit seiner großen Anzahl Stimmen sehr viele Hörer erreichte. Thomas leuchtete seinerzeit hinein in die Milieus der Vielen, denen nichts Anderes blieb, als sich mit Geschick heiter durchs Leben zu boxen.

Im brodelnden Eldorado der »Revue. Gold« scheint die Sonne der Glücksritter hell. Aber die Farben derer, die den Schatz unter unendlichen Mühen bergen, sind matt und elend. Wagner gibt den Ärmsten der Armen, den Ausgesaugten, jenen, die in Erde und Wasser wühlen, als stünden sie noch unterhalb der Spezies Ratte, Stimme und Gewicht. Der Brief des Arbeiters an die Mutter ist ein zentrales Dokument des Hörspiels. Den Glücksrittern mit ihren rohen Stimmen gesellen sich großmäulige Händler. Neben den Schürfern singen die Gräber und Bardamen ihr heiter-betrübtes Lied. Junge Mädchen bespötteln die Arbeiter, meinen, sie um ihr bisschen Geld und Sperma erleichtern zu dürfen.

Der Bestatter: »Je mehr gegraben wird, desto mehr kann ich begraben.« Die schon Gestorbenen dürfen ein letztes Mal reden. Mond und Sterne sind in der Ferne, und auch meine Marie. Ob sie mir treu bleibt? Ich will das Brot backen, wie meine Mutter es tut. Die Mutter: »Das Brot ist leicht wie ein Wespennest.«

Der Pfaffe sucht Gift spuckend, die junge, sich schindende Teufelsbande auf das christliche Niveau der Sonntage zu bringen. Vergeblich. Die Stimmen der Ladenszene kreisen um Preise, Kurse, Märkte, Wachstum. Einer sagt in Briefen an die Mutter: »Man täte gut daran, gleich sein Grab zu schaufeln, als nach Geld zu graben.« Eine Art Teufelsfigur tritt am Schluss auf: »Wo nichts von Dauer ist, bin ich noch da.«

Das Resümee ist düster: Was haben wir eigentlich gebracht nach den langen, schweren Jahren fern der Familie, der Freunde, Gefährten? Wir versprachen viel und konnten nichts halten.

Jan Wagner hat ein reiches, sozial sinnfälliges Stimmengefüge geschaffen, regieseitig geschickt zusammengeführt mit zumeist erstklassigen Sprechrinnen und Sprechern. Ein- und mehrstimmige Songs, untersetzt mit Gitarre und Percussion, fügen sich bestimmten Situationen ein. Der Musik des Komponisten Sven-Ingo Koch fehlt es ein bisschen an Biss und Gewitztheit, was den starken Gesamteindruck von »Revue. Gold« nicht mindert.

Ursendung im Deutschlandfunk am 15. Juli, 20.05 Uhr

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