Wühlt Pipelinebau Giftgas auf?
Anhörung zu Erdgas-Leitung Nord Stream 2 hat begonnen - Umweltverbände besorgt
200 000 Stahlrohre lässt die Nordstream AG schon mal mit Beton ummanteln. Im finnischen Kottka geschieht das zurzeit und in Sassnitz auf Rügen in Mecklenburg-Vorpommern. Das Konsortium, dem neben dem russischen Gasunternehmen Gazprom auch westliche Energieriesen wie Wintershall und E.on angehören, ist zuversichtlich, dass ihr 9,5 Milliarden Euro schweres Projekt einer weiteren Pipeline durch die Ostsee den Genehmigungsstempel bekommt. Im Nordosten Deutschlands soll die 1200 Meter lange Leitung nach ihrem Weg von den russischen Gasfeldern münden: bei Lubmin nahe Greifswald.
Doch ehe dort die Ventile zur Versorgung westlicher Gaskunden aufgedreht werden können, gilt es, rund 200 eingereichte Stellungnahmen zu dem Vorhaben mit Bürgern, Behörden und Verbänden zu besprechen. Das geschieht seit Montag hinter verschlossenen Türen in Stralsund. Fünf Tage lang können sich dort jeweils 40 bis 80 Menschen zu dem Projekt äußern. Ihnen gegenüber sitzen die Vertreter des Bergamtes und des Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrographie als Genehmigungsbehörden. Nordstream schickt etwa 20 Mitarbeiter und Gutachter zur Anhörung gereist.
Unter anderem erwarten die staatlichen Vertreter wie schon im Vorfeld des ersten Pipeline-Baus Kritik seitens der Umweltverbände. Deren Ansicht nach widerspricht ein Leitungssystem, durch das jährlich 55 Milliarden Kubikmeter Erdgas in den Westen transportiert werden, den klimaschutz- und energiepolitischen Zielen der Bundesregierung und der Europäischen Union. Nach wie vor befürchten Umweltschützer auch, dass beim Verlegen der Pipeline gefährliche Überreste aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg aufgewühlt werden: versenkte Munition mit Phosphor und Giftgas. Nach Schätzungen des WWF werden durch den Bau allein in der deutschen Wirtschaftszone 239 Tonnen Phosphor freigesetzt - viermal mehr, als die Bundesrepublik an Einträgen in die Ostsee reduzieren will.
Sorgen werden voraussichtlich auch Vertreter der Fischwirtschaft und der Schifffahrt vortragen, ebenso Sprecher der Bauern von der Insel Rügen. Von ihnen ist Widerstand gegen die Pläne zu erwarten, als Ausgleich für ökologische Eingriffe beim Pipelinebau neues Grünland auf der Insel zu schaffen und zu diesem Zweck Ackerland umzuwandeln.
Auch grenzüberschreitende Auswirkungen stehen bei der Erörterung am Freitag auf der Tagesordnung. So wie in Deutschland laufen auch in Russland, Dänemark, Schweden und Finnland Genehmigungsverfahren. Das Nordstream-Konsortium hofft auf einen positiven Abschluss des Verfahrens bis Ende 2017. Dann könnte im kommenden Jahr sogleich mit dem Bau der Pipeline begonnen werden. Thomas Triller, Leiter des zuständigen Bergamtes, betonte aber, dass sich die Genehmigungsbehörden nicht durch den ambitionierten Zeitplan beeindrucken lassen. Man werde solide alle Kritikpunkte abarbeiten und bewerten, so Triller.
Auch von der deutschen Bundesregierung wird das Projekt zur Ergänzung der bestehenden Ostseeleitung begrüßt. Durch sie strömten zuletzt nahezu 44 Milliarden Kubikmeter Erdgas in die EU. Aus Osteuropa jedoch schlägt dem Vorhaben heftige Kritik entgegen. Polen befürchtet, dass ihm Transitzahlungen für russische Gasmengen verloren gehen, die zurzeit durch Leitungen im Land fließen, nach Öffnung der neuen Pipeline aber wohl erheblich geringer werden.
Ähnliche Bedenken bestehen in der Ukraine. Deren Erdgasnetz könnte mit Nord Stream 2 für Lieferungen aus Russland vielleicht gar nicht mehr genutzt werden, heißt es dort. Eine Sorge, die Gazprom-Chef Alexej Miller noch verstärkt, der unlängst sagte: Man wolle mit der neuen Ostseepipeline »Milliarden Dollar Transportkosten sparen«, und: Das Leitungsnetz durch die Ukraine sei veraltet.
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